Leider sind wir gezwungen, Ihnen von dem neuen Selbstmord der 32-jährigen Mutter Olga aus dem Dorf Buda zu berichten, der wegen Schikanen durch die staatlichen Behörden begangen wurde (Artikel 145 des Strafgesetzbuches „Das Bringen zum  Selbstmord“). Diese Fakten wurden auf  Grundlage der Veröffentlichungen in  der unabhängigen Presse (Radio Liberty, Belsat, Belarusian Partisan) erstellt.

Durch staatliche Behörden betriebene Hetze gegen die Frauen  und dadurch verursachte Selbstmorde  sind  in Belarus kein neues Phänomen. Wir erinnern an den Selbstmord der 36-jährigen Menschenrechtsaktivistin Jana Poljakowa aus Salihorsk am 7.03.2009, die die Hetze und Verfolgung der staatlichen Behörden nicht aushalten konnte. Das war der erste Fall von den bekannten Selbstmorden der Frauen, verursacht durch Hetze und Verfolgung staatlicher Stellen , der von der modernen belarussischen Presse beleuchtet wurde. Für ihre Menschenrechtsaktivitäten wurde Yana von einem Milizbeamten geschlagen. Weil sie versuchte, ihr Recht vor Gericht zu beweisen, wurde sie von der Miliz und Staatsanwaltschaft schikaniert und regelrecht gehetzt. Yana konnte dem Druck des Strafverfahrens, das gegen sie eingeleitet wurde,  nicht standhalten und erhängte sich. Später wurde ihre Mutter, die den Selbstmord ihrer einzigen Tochter nicht ertragen konnte, psychisch krank und starb in einer psychiatrischen Klinik. Aber auch nach diesem skandalösen  Vorfall gab es leider nicht wenige Versuche und Fälle, dass  Frauen durch  Druck und Verfolgung durch staatliche Behörden in den Selbstmord getrieben wurden.

In der von uns hier beschriebenen  Situation wurden erneut zur Ursache des Selbstmordes einer Frau  systemische Verletzungen der Kinderrechte, die Androhung von Beamten, die Kinder in ein Kinderheim zu bringen und der Missbrauch des Dekrets Nr. 18 „Über zusätzliche Maßnahmen zum staatlichen Schutz von Kindern in dysfunktionalen Familien“*

Aufgrund von Massenverletzungen der Kinderrechte mit Bezug auf das Dekret Nr. 18  war „Unser Haus“  2015 gezwungen, die Kampagne „NedeDetskoye Delo“ (Keine Kindersache) zu starten. Wie wir sehen können, haben sich die Behörden nicht beruhigt und verletzen weiterhin die Rechte von Kindern in Belarus und treiben Frauen in den Selbstmord.

Fallbeschreibung:

Am 5. Februar 2019 erhängte sich die 32-jährige Olga aus dem Dorf Buda, Kreis Kastrychnitskaya, Gebiet Homel, weil sie die Drohungen von Beamten nicht ertragen konnte, ihre Kinder gemäß Dekret Nr. 18 in ein Waisenhaus zu bringen. Drei Jungen blieben nach Olgas Tod Waisenkinder: 3 Jahre, 7 Jahre und 8 Jahre alt. Jetzt sind die Kinder bei ihrem Vater und ihrer Großmutter (der Mutter des Vaters), aber in einem sehr deprimierenden Zustand. Die Kinder weinen ständig und fragen: „Wo ist die Mama? Wo ist unsere Mama?“. Papa weiß nicht, was er zu ihnen sagen soll.

 

Olgas Kinder

Ältere Kinder gingen in das benachbarte Dorf Krasnaya Sloboda zur Schule. Der Jüngere, drei Jahre alt, war bei seiner Mutter zu Hause. Die Familie war als eine in der sozial gefährlichen Lage (SGL-russisch-COP) sich befindende Familie registriert (in einer „sozial gefährlichen Situation“), aber gleichzeitig wurde die Familie beim Alkoholismus nicht auffällig, beging keine Verbrechen, es gab keine häusliche Gewalt oder andere negative Auffälligkeiten in der Familie. Die Nachbarn bemerkten, dass es in Olgas Haus immer aufgeräumt und  sauber war, das Essen zubereitet und dass sie eine gute Mutter war.

Lokale Beamte hetzten Olga regelrecht. Jede Woche wurde die Familie von Beamten des Dorfrates, von Feuerwehrleuten besucht, die  der  armen Frau damit drohten, ihre Kinder wegzunehmen und in ein Kinderheim zu stecken.

Die Ursachen für Drohungen der Beamten, Kinder wegzunehmen und als SGL(COP) zu registrieren, waren:

A) Die Armut der Familie (die Familie lebte vom Gehalt des Ehemannes, der als Viehzüchter arbeitete, und nur 400 Rubel, das sind etwa 180 Euro im Monat, verdiente).

B) Ein altes Haus, das seit langem nicht mehr renoviert wurde. Das Haus, in dem die Familie lebte, war alt, aus Holz. Es wurde von Olgas Mutter geerbt. Igor und Olga hatten kein Geld für ein neues Haus. Der Ehemann der Verstorbenen sagt, dass sie im Bezirksrat und im Bezirksexekutivkomitee gebeten haben, ihnen bei der Wohnungssuche zu helfen. Dort wurde geantwortet: „Wo nehmen wir für euch die Wohnung her? Seht selbst zu, dass ihr was  findet!“.

Hinweis aus „Nasch dom„: Das Haus von Olga und Igor ist ganz typisch für das weißrussische Dorf, so leben 98% aller belarussischen Dorfbewohner.

Das Haus von Olga und Igor:

C) Olga hat nicht gearbeitet. Beamte zwangen Olga, als Melkerin zu arbeiten, aber sie hatte Angst, ihre kleinen Kinder allein zu lassen, besonders ihren dreijährigen Sohn. Allerdings gibt es in Buda keine Infrastruktur, die es ermöglicht, die Kinder im Dorf mit jemandem oder irgendwo zurücklassen zu können. Außerdem erhalten Melkerinnen in Belarus nur sehr wenig Lohn(100150200 Rubel), d.h. eine Frau ist von 4 oder 5 Uhr morgens bis zum Ende des Arbeitstages beschäftigt, aber gleichzeitig würde die Familie wirtschaftlich nichts gewinnen.

D) bedingt „unhygienisch“ lebt die Familie, was die Beamten Olga zuschreiben.

Igor, der Witwer, beschreibt die Situation so: „Dass es ein Chaos im Haus gab – es waren Kinder, verstehst  du? Spielzeug liegt herum, es ist laut, die Kinder machen  Lärm. Olga hat das Haus aufgeräumt. Aber es  kamen Beamte  vom Bezirksamt und fanden  immer etwas auszusetzen. Man zwang Olga, zur Arbeit zu gehen. Sie hatte aber Angst, die  kleinen  Kinder allein zu lassen. Schließlich, stecken die Kleinen alleine noch die Bude in Brand! Drei Jungs! Außerdem, wo sollte sie arbeiten? Nur als Melkerin. Das würde bedeuten, für den ganzen Tag die Kinder allein zu lassen. Ich bin den ganzen  Tag bei der Arbeit,  und auch sie musste den ganzen Tag bei der Arbeit sein. Wenn etwas mit den Kindern passieren würde, würde man sagen, dass wir dafür verantwortlich sind, sie  verlassen zu haben.“

Trotzdem zwangen die Beamten Olga, einen Job als Melkerin zu übernehmen. Am 1. Februar ging sie zur Arbeit. Am 4. Februar drohte ihr die Chefin in einem scharfen Ton, sie  zu feuern. Die Ursache für die Unzulänglichkeiten war, dass an diesem Tag auch eine Kommission zu kommen “drohte“ , um ihre Lebensbedingungen erneut zu überprüfen und zu entscheiden, ob die Kinder weggenommen werden sollten.

Infolgedessen konnte die Frau den Drohungen, ihre Kinder wegzunehmen, dem Druck, der Verfolgung staatlicher Stellen nicht standhalten. Sie beging  Selbstmord.

Das Ermittlungskomitee prüft die Umstände ihres Todes.

Zur selben Zeit bedrohen die Beamten die Schwester der Verstorbenen, weil sie der Öffentlichkeit über den Selbstmord ihrer Schwester erzählt hat, indem sie die staatlichen Behörden dieses Todes beschuldigt hat. Damit hätte sie die Staatsorgane „angeschwärzt“.

Das Bild von Olgas Sohn, das sie nie sehen wird

 

*Anmerkung: Das Dekret des Präsidenten von Belarus N18.

„Über zusätzliche Maßnahmen zum staatlichen Schutz von Kindern in dysfunktionalen Familien“. Angenommen 2006, ergänzt 2009, 2010, 2011, 2012.

Auszug:

Um den Schutz der Rechte und der berechtigten Interessen von Kindern in dysfunktionalen Familien zu gewährleisten, die Verantwortung der Eltern zu erhöhen, die ihren Verpflichtungen zur Erziehung und Unterstützung ihrer Kinder nicht nachkommen, beschließe ich gemäß Artikel 101 , Teil 3 der Verfassung:

  1. „Kinder unterliegen dem staatlichen Schutz und der staatlichen Fürsorge, wenn festgestellt wird, dass ihre Eltern (oder alleinerziehender Elternteil) eine unmoralische Lebensweise führen, die sich nachteilig auf ihre Kinder auswirkt, chronische Alkoholiker oder Drogenabhängige sind oder anderweitig ihrer Verantwortung bei der Erziehung und Unterstützung ihrer Kinder nicht ordnungsgemäß nachkommen und sich daher in einer sozial gefährlichen Lage befinden.“

 

Jedes Jahr werden in Belarus nach der offiziellen Statistik 3000 Kinder aus ihren Familien weggenommen. Ca. 55% Kinder werden dank der prophylaktischen Handlungen von staatlichen Behörden, von Verwandten oder Schulen in die Familie zurückgegeben.

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