(vorbereitet von Anwälten und Menschenrechtsaktivisten von „Unser Haus“ basierend auf den Unterlagen des Strafverfahrens)

Kapitel 1. Kurze Beschreibung des Falls: Der minderjährige Nasser Milad (geboren am 16. November 1999), hat den mittleren Schulabschluss, und arbeitete bei einem Einzelunternehmen. Er wurde nach Paragraf 1 des Artikels 328 des Belarussischen Strafgesetzbuches zu einer Strafe von 11 Monate und 22 Tage im Gefängnis verurteilt. Bereits im Jahr 2016 wurde er unter dem Vorwurf des Drogenkonsums zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Es wurde ihm klar vermittelt, dass sie ihn beim nächsten Mal ins Gefängnis stecken würden. Während der Bewährungszeit (von 2016 bis 2018) ging Milad regelmäßig zur Polizei, um sich registrieren zu lassen. Er wurde mehrmals festgenommen, es wurden jedoch nie Drogen bei ihm gefunden, aber jedes Mal sagten sie: „Wir stecken dich trotzdem ins Gefängnis“. Die Wohnung der Familie wurde fünfmal ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft durchsucht, aber sie konnten nichts finden.

Im Jahr 2017 waren Milad und seine Freunde in seiner Wohnung, als Polizisten einbrachen. Sie schnappten sich zuerst den Nachbarn und dann Milads Großmutter. Erst als der Junge anfing, sie zur Rede zu stellen, zeigten sie ihm den Durchsuchungsbefehl. Die Polizei durchsuchte die gesamte Wohnung, forderte ihn auf, die Drogen „im Guten“ herauszugeben. Als er das nicht tat, nahm sie Milad mit auf die Polizeiwache, ließen ihn dann aber gehen. Im Laufe des nächsten Jahres gab es mehrere weitere Versuche, ihn zu verhaften, und sein Telefon wurde abgehört. Es wurde aber keine Anklage erhoben.

Milad wurde dann wieder festgenommen, als er erneut zur Kontrolle kam, obwohl er wieder keine Drogen bei sich hatte. Den Ermittlungen zufolge schloss sich Nasser Milad von Mai 2017 bis zum 30. August 2017 einer organisierten Gruppe („MIMI Corporation“) an, die von einer unbekannte Person gegründet und geleitet wurde und kriminelle Aktivitäten im Bereich des Handels mit gefährlichen Betäubungsmitteln und hochgefährlichen psychotropen Substanzen betrieb.

Nasser Milad hat seine Schuld nie in vollem Umfang bestätigt.

Die Untersuchungskommission erklärte die Organisatoren und Anführer dieser Gruppe seien eine unbekannte Person sowie Nasser Milad, der im Vergleich zu den anderen Gruppenmitgliedern die ranghöchste Person gewesen sein soll.

Während der Ermittlungen hat Milads Anwalt ihm angeboten, seine Teilnahme an den Gruppenaktionen zuzugeben und versprochen, dass er in diesem Fall nicht zu 15-17, sondern zu 12-15 Jahren Gefängnis verurteilt wird. Milad plädierte allerdings auf nicht schuldig, und vor Gericht wurden auch keine Beweise vorgelegt, die den Fall unter Paragraf 4 Artikel 328 qualifizieren. Dennoch wurde er als Mitglied einer organisierten Gruppe verurteilt, die Drogen verteilt haben soll.

Kapitel 2. Verletzung der Rechte von Minderjährigen im Strafverfahren:

2.1 Festnahme und Anwendung von Präventivmaßnahmen:

Naser Milad wurde vom 3. August 2017 bis zum 4. August 2017 und vom 30. August 2017 bis zum 31. August 2017 inhaftiert. Aus seinen Erklärungen geht hervor, dass er am 3. August 2017 einen Anruf von einem Polizisten erhielt und gebeten wurde, zur Polizeistation im Moskowskij-Rajon zu kommen. Der Junge bat einen Bekannten, ihn dort hin zufahren, doch an der Polizeistation wurde er dann festgehalten. Die Polizeibeamten hatten Informationen über Milads Verwicklung in den Drogenhandel, und es wurde eine verdeckte Überwachung gegen ihn eingerichtet.

Bei einer Personendurchsuchung wurden bei ihm keine Drogen gefunden, aber im Auto des Bekannten, der ihn mitgenommen hatte, befand sich ein Mobiltelefon, auf dem ein Schriftverkehr über Verstecke und Marihuana zu finden war. Nach Aussage des Bekannten war es Milad, der ihm die Drogen gab. Der Junge wiederum behauptete, dass er das im Auto zurückgelassene Telefon schon lange nicht mehr benutzt habe. Da er keine Drogen bei sich hatte, wurde Milad freigelassen.

Am 30. August wurde Milad während der verdeckten Operation „Kontrolle der Telekommunikationsnetze“ festgenommen und verdeckt überwacht. Es wurde nicht festgestellt, dass er Betäubungsmittel bei sich hatte.

Bei der Festnahme, Durchsuchung und Vernehmung waren keine Rechtsvertreter anwesend.

Er befindet sich seit dem 1. September 2017 in Untersuchungshaft.

Gemäß Artikel 10.2 der Beijing-Regeln soll im Falle einer Inhaftierung eines Jugendlichen der Richter oder ein anderer zuständiger Beamter oder eine Behörde die Frage der Freilassung unverzüglich prüfen.

Bei der Entscheidung über das Strafmaß wurden die Gründe, Motive und Möglichkeiten der Anwendung einer anderen, milderen Strafe, einschließlich einer solchen Maßnahme wie der Unterbringung eines Minderjährigen unter Aufsicht gemäß § 123 der Strafprozessordnung, nicht geprüft.

Die gewählte Strafe war nicht durch die Ermittlungen gerechtfertigt, die Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der Untersuchungshaft von Nasser Milad war nicht gegeben.

Die Untersuchung hatte keinen Grund zu der Annahme, dass der Minderjährige Nasser Milad ohne die Anwendung dieser Maßnahme die Ermittlungen in diesem Fall und deren Behandlung vor Gericht stören oder einen Versuch unternehmen würde, sich den Ermittlungen oder dem Gericht zu entziehen oder den Fall anderweitig zu behindern. All dies entspricht nicht dem erhöhten gesetzlichen Schutz von Minderjährigen.

Nach Regel 13 der Beijing-Regeln sollte die Untersuchungshaft nur als letztes Mittel und für den kürzest möglichen Zeitraum eingesetzt werden.

Die Gefahr der „kriminellen Beeinflussung“ von Jugendlichen in Untersuchungshaft sollte nicht unterschätzt werden und alternative Maßnahmen sollten nicht ohne Grund immer vorgezogen werden.

2.2 Der Grundsatz des verstärkten Rechtsschutzes von Minderjährigen in Strafverfahren:

Bei den Ermittlungen und der Prüfung des Falles vor Gericht wurden das Umfeld und die Bedingungen, in denen der minderjährige Nasser Milad lebte, nicht sorgfältig untersucht, die Umstände, unter denen er in diese kriminelle Gruppe geriet, die von einer unbekannten Person organisiert wird, wurden nicht festgestellt. Es wurde kein Versuch unternommen, ein Strafverfahren gegen den Anführer der Gruppe einzuleiten. Nach den Unterlagen des Falles gab es nicht einmal einen Versuch, ihn zu identifizieren. Das Urteil wurde durch die Tatsache beeinflusst, dass es die zweite Verurteilung für ihn war. Es wurde nicht angegeben, dass die vorbeugenden Arbeiten formell durchgeführt wurden.

Nach Artikel 16 der Beijing-Regeln muss bei allen Straftaten außer geringfügigen vor einer endgültigen Entscheidung der zuständigen Behörde eine gründliche Untersuchung des Umfelds und der Lebensbedingungen des Jugendlichen oder der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, durchgeführt werden, um der zuständigen Behörde eine angemessene Beurteilung des Falles zu ermöglichen.

Kapitel 3. Expertenmeinung. Gemäß Absatz 53 der Richtlinien der Vereinten Nationen zur Verhütung der Jugendkriminalität (Riad-Richtlinien), die durch die Resolution 45/112 der Generalversammlung vom 14. Dezember 1990 bestätigt wurden, sollten Gesetze verabschiedet und durchgesetzt werden, die die Misshandlung und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen sowie deren Verwendung als Werkzeug für kriminelle Aktivitäten verbieten.

Doch den Organisator und den Kopf der kriminellen Gruppe „Corporation MIMI“, die den minderjährigen Naser Milad als Werkzeug in der kriminellen Tätigkeit verwendet hat, hat die Untersuchung nicht ausfindig gemacht, trotz wiederholter Kontakte und Gespräche der Gruppenmitglieder und ihm. Praktisch die gesamte Verantwortung für die Aktivitäten der Gruppe wurde dem minderjährigen Nasser zugeschrieben, der laut den Ermittlungen und dem Gericht „den höchsten Grad an Verantwortung“ trägt.

Gemäß Absatz 58 der Riad-Leitlinien müssen Strafverfolgungsbeamte und anderes zuständiges Personal, unabhängig vom Geschlecht, darauf vorbereitet sein, bei ihrer Arbeit sensibel auf die besonderen Bedürfnisse junger Menschen einzugehen, und sie müssen die Programme und verfügbaren Hilfsdienste kennen und so weit wie möglich nutzen, um zu verhindern, dass Jugendliche mit dem Justizsystem in Konflikt geraten.

Nasser M., ein Jugendlicher, der bereits nach Teil 1 des Artikels 328 des Strafgesetzbuches verurteilt wurde, erhielt keine Unterstützung durch geeignete Dienste, um weiteres rechtswidriges Verhalten zu verhindern. Auch wurde keine staatlich organisierte präventive Arbeit mit ihm durchgeführt.

Gemäß Regel 1.2. der Standard-Mindestregeln für die Jugendgerichtsbarkeit (Beijing-Regeln), die durch die Resolution Nr. 40/33 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 29. November 1985 verabschiedet wurden, wird von den Staaten verlangt, dass sie sich bemühen, Bedingungen für ein sinnvolles Leben eines Jugendlichen in der Gesellschaft zu schaffen, das in einer Lebensphase, in der sie oder er am anfälligsten für Fehlverhalten ist, einem Prozess der persönlichen Entwicklung und Erziehung förderlich ist, und zwar so weit wie möglich frei von der Auseinandersetzung mit Verbrechen und dem Gesetz

Der Staat hat keine positiven Schritte unternommen, um die Notwendigkeit weiterer gesetzlicher Eingriffe und einer effektiven, fairen und humanen Behandlung eines mit dem Gesetz in Konflikt geratenen Jugendlichen zu verringern und zu beseitigen. Das Gericht gab keine rechtliche Bewertung zur Nachlässigkeit und Untätigkeit der staatlichen Behörden ab, die zur Verwicklung des Jugendlichen Nasser Milad in die kriminellen Handlungen von Erwachsenen führte.

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