Am Mittwoch, den 10. Februar mussten sich die  “Mütter 328” von Maria Chepko verabschieden – einer Aktivistin, schönen Frau und vor allen Dingen liebenden Mutter. Sie wartete auf die Freilassung ihres Sohns aus dem Gefängnis, seit er nach Paragraph 328 im Jahr 2018 zu einer Gefängnisstrafe von elf Jahren und sieben Monaten verurteilt wurde. Milad bekam keinen Freigang, um sich von seiner Mama zu verabschieden…

Marina Chepko hatte eine Mutter, einen heranwachsenden Sohn, ein Business, eine Wohnung, eine Datscha und ihr Hobby – Fitness. Sie ließ sich von ihrem Mann scheiden, hielt aber eine freundschaftliche Beziehung zu ihm. Sie hatte ein sehr vertrautes Verhältnis zu ihrem Sohn, er half seiner Mutter mit allem.

Marina erzählte, dass am 24. April 2017 die Beamten des Polizeireviers des Maskowski Bezirks  ihre Wohnung stürmten, die sie als Eigentümerin und als Mutter mit dem minderjährigen Milad Nasser bewohnte. Der Einsatzleiter war ein gewisser Juri Alexandrovich, der während des Einsatzes sämtliche gesetzliche Vorgaben und Regeln brach. Die Dursuchung fand z.B. ohne Durchsuchungsbefehl statt. Während der Durchsuchung drohte er ihrem Sohn “Gib zurück, was du genommen hast oder ich bringe dich hinter Gitter”. Es wurde nichts gefunden und die Polizei musste wieder gehen.

“Meine Wohnung wurde fünf Mal ohne Durchsuchungsbefehl abgesucht, kein einziges Mal wurde etwas gefunden,” erinnerte sich Marina. “Aus irgendeinem Grund denkt die Polizei – wenn du einmal irgendwo aufgefallen bist, dann musst du ins Gefängnis kommen. Es gibt keinen Drang, Präventionsarbeit zu leisten, zu warnen, zu vermeiden. Vermutlich hat das mit Prämien und Beförderungen zu tun.”

Als das zweite Verfahren begann, war Milad 17 Jahre alt – er wurde angeklagt wegen der angeblichen Organisation eines Drogennetzwerks. Beweise wurden vor Gericht nicht vorgelegt, Milad beteuerte wiederholt seine Unschuld. Der 40 Jahre alten Marina, die auch nicht daran glaubte, dass ihr Sohn ein Anführer einer Gruppe von Menschen war, die mehrere Jahre älter waren als er, blieb nichts anderes übrig als zu kämpfen. Milad wurde nach Paragraph 4 Artikel 328 verurteilt. Jegliche Beweise über die Beteiligung ihres Sohnes am Verbrechen fehlten. Das Urteil entspricht nicht den Fallakten, das Urteil wurde vermutlich auf Wunsch des Beamten Juri Alexandrovich gefällt. Welche Rolle er genau spielt ist unbekannt, genauso wie sein Nachname.

Nachdem ihr Sohn verurteilt wurde, ist Marina Aktivistin des Bewegung “Mütter 328” geworden.

Am 27. April 2018 schloss sie sich dem Hungerstreik im Aktivistenlager im Dorf Ostrov an. Mit ihr zusammen nahmen noch elf andere Frauen an diesem Hungerstreik teil. Ihre Hauptforderungen war ein Treffen mit Alexander Lukaschenko und die Überarbeitung der Paragraphen zum Konsum von Drogen. Am 2. Mai wurden sie auch zu einem Treffen in die Dienststelle des Präsidenten eingeladen, aber nach dem Gespräch mit Natalia Kochanova wurden ihre Forderungen nicht erfüllt.

“In der Vollzugsanstalt, in der mein Sohn sich befindet, wusste man schon von unseren Aktivitäten. Mein Sohn fragte im Brief, ob das stimmt. Solange ich nicht Zuhause war, bat ich meine Mutter darum ihm kurz zu antworten: “Melde mich später. Sei gewiss, deine Mutter steht immer für dich ein.” – Er wird alles verstehen”, erzählte Marina in einem der Interviews.

Im September 2018 entstand durch das Internationale Zentrum für zivile Initiativen “Nasch Dom” (“Unser Haus”) die Bewegung “Kinder-328”, wo sich die Mütter der inhaftierten minderjährigen Kinder organisierten. Marina hatte sich dort sehr aktiv engagiert.

Sie betonte immer wieder: die Jugend hat nichts zum Leben, die Gehälter sind niedrig und die Perspektive, für ein paar Kopejkas zu arbeiten, ist nicht sehr verlockend. Deshalb greifen sie auch nach solch leichter Arbeit, auch wenn diese illegal ist, in dem Glauben, nicht erwischt zu werden. Aber es sei angemerkt, die Jugendlichen sind nicht die Dealer, die Dealer befinden sich im Ausland, und niemand weiß, wie sie heißen oder aussehen.

“Wofür sitzen denn die Kinder ein? -Sie sind unsere Zukunft. Was wird aus ihnen, wenn sie in 15 Jahren aus dem Gefängnis kommen? Wenn schon ein normaler Mensch bei uns keine Arbeit finden kann, was sollen sie dann machen, wenn sie wieder in Freiheit sind? Wir bauen jetzt ein Land von Verurteilten auf. Und dieses wird bald zu einem Land von Obdachlosen”- sagte die Aktivistin.

Marina schrieb zusammen mit anderen Müttern Beschwerden, ging zu Gesprächen mit Abgeordneten, nahm an Streik-Protesten teil. Sie war immer vorn mit dabei. https://nash-dom.info/60671 – hier gibt es Fotos von ihr.

Im Jahr 2021 hatte das Schicksal entschieden, dass sie den Kampf nicht fortführen solle. Am 18. Januar schrieb sie ihren letzten Post auf Facebook:

“Da ist es nun, ganz unerwartet, ich dachte ich hätte es längst gehabt; meine Schwester war zwei Mal an Corona erkrankt, und nun habe ich auch Corona.

Wann es angefangen hat, weiß ich nicht. Gestern habe ich nach der Nachtschicht geschlafen und abends schmerzte meine Knochen. Ich dachte erst, ich hätte zu lange geschlafen. Am nächsten Tag war meine Kopf schwer und ich hatte eine ganz kalte Nase, ein unangenehmes Gefühl. Tagsüber begleitete ich eine Freundin ins Gericht, am Eingang wurde die Temperatur gemessen – 34,5)) So gut sind dort die Fieberthermometer)) wenn ich das gewusst hätte, hätte ich wahrscheinlich jeden Richter persönlich mit Händedruck begrüßt.

Mein Zustand verschlechterte sich, unangenehmes Kopfschmerzen und ein leichter Husten; sind jetzt mit dazu gekommen, es fühlt sich an als würde mein  Kopf bald platzen, wenn ich nur leicht abhuste.

Ich maß meine Temperatur – 38, jetzt 39; stellte fest, dass Geruchs- und Geschmackssinn weg waren als ich anfing zu essen. Habe gar nicht verstanden was ich esse, konnte es nur sehen. Der Kopf platzt, die Augen brennen als wäre Pfeffer in ihnen, der ganze Körper brennt eigentlich bis auf die Hände und Füße – sie sind eiskalt, es ist unmöglich sie irgendwie aufzuwärmen. Ich habe Schmerzen unter den Schulterblättern und im Bereich des Rückens auf Höhe der Lunge. Stechen im Herzen. Im Kopf dreht es sich. Nun, das sind alle meine Symptome, morgen früh werde ich den Arzt anrufen. Trinke Groprinosin, Tee mit Zitrone und Johannisbeere; Andere, die auch krank waren, haben mir geraten, Spiritus zu riechen, mit Wattebäuschen in die Nase. Spiritus habe ich nicht da, also nehme ich Wodka, hoffe nicht betrunken zu werden)))) Naja, bisher habe ich keine Panik, denke, dass ich das schaffe. Wusste knapp sieben Jahre lang nicht was ein Arzt sein soll, und der Arzt kennt mich auch gar nicht. Passt auf euch und eure Lieben auf, die Symptome sind sehr unangenehm und ich weiß nicht, was da noch kommt”

Nach der schweren Coronavirus-Erkrankung bekam Marina einen Schlaganfall und fiel ins Koma, aus dem sie leider nicht mehr wieder aufwachte. Am 9. Februar stellten die Aktivistinnen der Bewegung einen Antrag ans Strafdepartment, damit Milad Nasser die Möglichkeit bekommt, sich von seiner Mutter zu verabschieden. Jedoch fand ein letztes Treffen zwischen Marina und ihrem Sohn nicht statt.

“Nash Dom” spricht der Familie und den Nahestehenden von Marina ihr tiefes Mitgefühl aus und wünscht auch ihren Mitkämpferinnen, die einen solch schweren Verlust erlitten haben, Stärke und Mut für die bevorstehende Zeit.

 

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