Im vergangenen Jahr wurde das nach dem heiligen Hubertus benannte Kinderhospiz in Grodno für die Polizei zu einem Ort der Gesetzlosigkeit. Zuerst wurde die Wohltätigkeitsorganisation, die schwerkranken Kindern hilft, aus zwei Räumlichkeiten vertrieben. Dann wurde ein Strafverfahren gegen die Direktorin Olga Velichko eingeleitet. Daraufhin bekam das Hospiz regelmäßig Besuche von Steuerfahndern, die nach einer Bestätigung für die nicht vorhandenen Verbrechen suchten. Wir wollen ausführlich über den derzeitigen Stand der Dinge berichten.

Wie hat alles angefangen?

Olga Velitschko

Die Leiterin des Hospizes Olga Velitschko ist sich sicher, dass die Ursache für die Probleme in ihrer freiheitlich-demokratischen Position liegt. Sie war eine unabhängige Beobachterin bei den Wahlen am 9. August und hatte den Betrug dokumentiert. Sie meldete Verstöße an die Staatsanwaltschaft und an die Zentrale Wahlkommission. Nach der Niederschlagung der Proteste am 9. und 12. August versuchte Olga in Grodno einen Rat des Nationalen Vertrauens mit zu gründen. Der Bürgermeister der Stadt machte jedoch einen Rückzieher, die Regierung öffnete sich ein wenig, um mit den Demonstranten zu sprechen. Allerdings nicht für lange – schon im September begann das Hospiz Probleme zu bekommen[1].

Zuerst wurden die Schlösser in den Räumlichkeiten ausgetauscht, die die Organisation von der örtlichen Schulkantine in Leninski (einem Bezirk in Grodno) gemietet hatte.  Später wurde das Hospiz aufgefordert den Schaden zu ersetzen, weil die Firma die Räumlichkeiten nicht nutzen konnte. Dann wurde der Organisation ein Büro in der Kinderpoliklinik in Grodno entzogen (angeblich wegen des Coronavirus), das das Hospiz 12 Jahre lang genutzt hatte.

Auch auf Olga selbst wurde der Druck erhöht: Die Klassenlehrerin ihres Kindes drohte, die Schule und die Verwaltung über angebliche Zweifel am Wohlergehen der Familie von Velitschko zu informieren. Am 9. September wurde die Hospizleiterin bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung, bei der sie Geld für die Bedürfnisse der Organisation sammelte, festgenommen. Im Oktober kam sie vor Gericht und wurde zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen verurteilt. Fast unmittelbar danach begann eine Inspektion durch das Finanzministerium mit einer Durchsuchung, der Beschlagnahmung von Dokumenten und Briefen an Sponsoren.

Am 16. November startete das Internationales Zentrum für zivilgesellschaftliche Initiativen „Unser Haus“ die Kampagne „S.O.S. Kinderhospiz“ zum Schutz des Kinderhospizes Grodno. Zu diesem Zeitpunkt konnte das Hospiz auch gerade damit beginnen die Räumlichkeiten des Palliativzentrums zu übernehmen. Allerding wurde nun auch ein Strafverfahren gegen Olga Velitschka (die ins Ausland ging) wegen angeblicher Untreue eingeleitet – dabei wurden keine Fakten vorgelegt, was genau und in welcher Höhe gestohlen wurde.

Am 7. Dezember wurde ein Beatmungsgerät aus dem Hospiz beschlagnahmt. Die Abteilung für Finanzermittlungen erklärte: Die Direktorin hatte 2017 und 2018 Geld dafür gesammelt, dieses abgehoben und dann den Eltern des Kindes, welche die Maschine zum Leben zu Hause brauchte, übergeben. Das ist durch Kontoauszüge der Überweisungen bewiesen. Die Strafverfolgungsbehörden versichern aber, dass weder Geld, noch das Gerät von den Eltern gesehen wurden.

In der Tat wurde das Beatmungsgerät gekauft, aber nicht an das kranke Mädchen übergeben. Aufgrund familiärer Umstände konnten die Eltern ihre Tochter nicht aus dem Krankenhaus nehmen und war damit weiter auf dem Apparat dort angewiesen. Das Beatmungsgerät wurde daraufhin einem anderen Kind gegeben.

Was hat sich seit Dezember im Hospiz getan?

Im Dezember fand eine Gerichtsverhandlung statt, die u.a. den Mietvertrag mit dem Hospiz und den Räumlichkeiten der Bezirkschulmensa in Oktyabrsky aufgekündigte. Sie waren der Organisation in der ersten Welle des Coronavirus übergeben worden – hier nähten Freiwillige persönliche Schutzausrüstungen, die dann Ärzten in Grodno kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Tatsächlich konnten die Hospizmitarbeiter nach Ablauf der Mietzeit nicht einmal die Sachen aus den Räumlichkeiten mitnehmen, ihn wurde dafür kein geeigneter Termin genannt. Nun hat das Hospiz nur noch eine Räumlichkeit – das Zentrum für Palliativpflege in der Ignat Domeyko Straße in Grodno, das von der orthodoxen Gemeinde kostenlos zur Verfügung gestellt wird[2].

Aufgrund des Platzmangels war das Hospiz gezwungen seine Sterbebegleitung für Patienten über 18 Jahre einzustellen. Etwa 25 Kinder wurden ohne regelmäßige medizinische Versorgung und Trainingsgeräte zurückgelassen, ebenso wie ohne die Möglichkeit an Workshops teilzunehmen und soziale Kontakte zu knüpfen. Für viele von ihnen war das Hospiz die einzige Möglichkeit für eine kontinuierliche Wiedereinbindung in das gesellschaftliche Leben, gerade anstatt der nur gesetzlich vorgeschrieben Rehakurse zweimal im Jahr. Nun sind diese jungen Menschen gezwungen ihre Zeit nur innerhalb ihrer eigenen vier Wänden zu verbringen[3].

Am 12. Januar führten Strafverfolgungsbeamte auch eine Razzia in den Räumlichkeiten des Zentrums für Palliativmedizin durch, mit der Begründung, dass der Eigentümer des Zentrums nichts gegen solche Besuche habe. Das Ziel der Ordnungshüter war eine Durchsuchung, bei der sie ein zweites Beatmungsgerät finden wollten „um die Zahlen zu überprüfen“. Die Durchsuchung war rechtswidrig und wurde ohne dafür notwendige Dokumente durchgeführt. Sie forderten u.a. die Anwesenden auf den Allzweckraum zu öffnen. Einer der Mitarbeiter bot darauf an auf die Journalisten zu warten – das veranlasste die Beamten offenbar zum Gehen. Zum Zeitpunkt des Besuchs der Ermittler befanden sich Klienten im Hospiz und das unhöfliche und grobe Verhalten der Ordnungshüter erschreckte die Kinder[4].

Mehrfach kamen Ermittler der Finanzermittlungsabteilung zum Hospizpersonal und zu den Angehörigen der Kinder. Eine der Frauen, die ihren 15-jährigen Sohn zu den Hospizkursen bringt, sagte, dass sie nach ihren finanziellen Beziehungen zur Direktorin Olga Velitschko gefragt wurde.

„Ich habe erklärt, dass ich für nichts bezahle. Die Hospizdienste sind kostenlos, alle Mitarbeiter sind menschlich und freundlich zu unseren Kindern“, sagte sie.

Am 22. Januar erhielt das Hospiz ein Dokument des Untersuchungskomitees der Region Grodno: Darin hieß es, dass das bei der Durchsuchung im Oktober beschlagnahmte Eigentum dem Hospiz in Verbindung mit den notwendigen Expertenuntersuchungen zurückgegeben werden kann. Olga Velitschko erklärte jedoch, sie befürchte, dass mit dem im Oktober entnommenen Beatmungsgerät etwas hätte passiert sein können. Sie plante es nach einer gründlichen Untersuchung, die 1200 Euro kostete, wieder einzusetzen.

Am 4. Februar legte das Kinderhospiz Grodno nahe, Mitglied der Organisation zu werden, um weiterhin kranken Kindern zu helfen. „Um das Hospiz zu retten, müssen wir eine Mitgliedschaft aufbauen. Wir sind offen für Bewerbungen von Menschen unabhängig von ihrem Wohnort und ihrer Staatsangehörigkeit“, berichten Vertreter des Hospizes in sozialen Netzwerken. Es ist bekannt, dass bis zum 1. Februar 327 Anträge auf Mitgliedschaft in der Organisation vorlagen[5].

Wie ist die Situation jetzt?

Bis Ende 2020 erfüllte das Hospiz den staatlichen Sozialauftrag zur palliativen Versorgung von Kindern. Doch die zugewiesenen Mittel reichten kaum aus um die Gehälter von zwei Mitarbeitern zu bezahlen – sie erhielten nur knapp den Mindestlohn. Jetzt hat das Hospiz keinen staatlichen Auftrag mehr, das heißt, es hat die staatliche Unterstützung verloren. Gleichzeitig hat die Organisation inzwischen neun Mitarbeiter, deren Gehalt weiter bezahlt wird.

Die sterbebegleitenden Dienste für kranke Kinder und ihre Familien sind weiterhin kostenlos. Derzeit befinden sich etwa 60 Familien mit schwerkranken Kindern in der Hospizbetreuung. Die Ärzte besuchen sie zu Hause und führen mit ihnen Kurse im Palliativzentrum durch.

Am 4. März erhielt die Staatsanwaltschaft Grodno eine Beschwerde von der Kinderpoliklinik Nr. 2, in deren Räumlichkeiten ein Teil des Hospizes untergebracht war. Die Verwaltung der Poliklinik war besorgt über die Tatsache, dass im Mai Freiwillige des Hospizes in ihren Räumlichkeiten Schutzanzüge für medizinische Mitarbeiter nähten. Laut Staatsanwaltschaft hat das Hospiz „eigenmächtig, ohne zusätzliche Vereinbarung, die gemeinschaftlich genutzten Räume der medizinischen Einrichtung – das Foyer mit dem Flur – besetzt und dort die Nähproduktion organisiert. Wie sich herausstellte, waren diese Räumlichkeiten für die Poliklinik notwendig, um einen separaten Eingang zum Gebäude und getrennte Schleusen einzurichten, um den Strom von Patienten und Personal zu trennen. In einer Erklärung der Staatsanwaltschaft heißt es, dass „die Leitung der Poliklinik dem Direktor des Hospizes wiederholt vorgeschlagen hat, die nicht genehmigten Räumlichkeiten zu räumen, sowie den Mietvertrag vorzeitig zu beenden. Es war jedoch nicht möglich, die Zustimmung der anderen Partei zu erhalten“[6].

Die Wohltäter bezahlten das Hospiz bis Mitte Februar[7]. Die Organisation bot an, über PayPal Geld zu spenden um ihre Arbeit fortzusetzen. Vom 25. bis 28. Februar wurde ein Wohltätigkeitsfestival der klassischen Musik „Bis der Abspann läuft.“ zur Unterstützung des Hospizes organisiert. Während dieser Tage fanden drei Konzerte statt, deren Erlös dem Hospizkonto zugutekommt[8].

Seit Beginn der Kampagne bezüglich des Kinderhospiz Grodno gibt es eine Petition auf der Website change.org, deren Autoren die Generalstaatsanwaltschaft, KHC und das regionale Exekutivkomitee von Grodno auffordern den politischen Druck auf die Organisation einzustellen. Zurzeit haben über 60 Tausend Menschen die Petition unterzeichnet. Im Januar schrieben die Initiatoren, dass sie beschlossen haben sich an internationale Organisationen zu wenden, die sich mit dem Schutz der Rechte von Kindern und Menschen mit Behinderungen beschäftigen[9].

Das Schicksal des Kinderhospizes Grodno beschäftigt auch das Ausland. Der Bürgermeister von Minden, der Partnerstadt von Grodno, Michael Jecke schickte einen Brief an den Stadtvorstand von Grodno, in dem er seine Besorgnis über die Entwicklungen zum Ausdruck brachte. Der Vorsitzende des Exekutivkomitees der Stadt Grodno, Mechyslau Goi, erklärte, dass das Hospiz seine Arbeit nicht eingestellt hat, seine Tätigkeit bleibt im Bereich der besonderen Aufmerksamkeit der Stadtverwaltung. Außerdem stellte sich heraus, dass der Stadtvorstand von Grodno wohl angeblich staatliche Zuschüsse für das Hospiz beantragt hatte, was in Wirklichkeit nicht zutraf. „Die Kinder der Stadt Grodno, die die Palliativpflege brauchen, und ihre Eltern erhalten auch alle notwendige Hilfe, nicht nur von den öffentlichen Organisationen, sondern vor allem von den staatlichen medizinischen Einrichtungen in stationären und ambulanten Bedingungen“, – betont der Brief.

Es ist anzumerken, dass in Belarus, außer in Grodno, die Sterbebegleitung nur in der Hauptstadt im Belarussischen Kinderhospiz organisiert ist (einer gemeinnützigen Organisation, die aufgrund von Spenden existiert). Um unheilbar kranken Kindern in den Regionen zu helfen, hat das Hospiz in 6 Großstädten einen mobilen Dienst, der in Kleinstädte fährt und dortige Fachkräfte in entsprechenden Techniken schult. Im letzten Jahr erreichte das Angebot 170 Familien. Es ist geplant, dass es in diesem Jahr auf drei Zentren in drei weiteren Städten ausgeweitet wird[10].

[1] https://www.dw.com/ru/za-chto-v-belarusi-vlasti-presledujut-grodnenskij-detskij-hospis/a-55724949

[2] https://news.tut.by/society/714491.html

[3] https://imenamag.by/posts/grodno-without-hospice

[4] https://www.facebook.com/vialichka.volha/posts/3509233849130584

[5] https://www.facebook.com/valentina.karoliny/posts/4103078016383509

[6] https://people.onliner.by/2021/03/04/prokuratura-podala-v-sud-na-grodnenskij-detskij-xospis

[7] https://www.facebook.com/lavoncyk/posts/10160849316661679

[8] https://www.facebook.com/Anyafiorellina/posts/3892680750771830

[9] https://www.change.org/p/прекратите-политическое-давление-на-гродненский-детский-хоспис/u/28406962

[10] https://imenamag.by/projects/hospice

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