Die Gerüchte, dass sich die belarussische Opposition gespalten habe, verbreiten sich immer schneller in den sozialen Netzwerken. Die demokratischen Oppositionsbewegung hat jetzt aber gezeigt, dass sie vereint ist und es zwischen ihnen keinen Streit gibt. Pavel Latushka, Veronika Tsepkalo, Olga Karach, Vadim Prokopyev und Igor Makar sowie Vitaly Dyadyuk, trafen sich zu einem gemeinsamen Live-Stream auf dem YouTube-Kanal „Nasch Dom TV“.
Zu Beginn des Streams erzählte Olga Karach, wie es zu diesem Format gekommen ist:
– Da die staatliche Propaganda über die nicht-öffentlichen oppositionelle Verhandlungen berichtet und regelmäßig erklärt, dass sich die Opposition zerstritten hätte, haben wir beschlossen, dass einige unserer Diskussionen und Treffen von nun an öffentlich sein werden. Wir sind uns über bestimmte Grundprinzipien einig, aber die Nuancen können variieren. Wenn wir unterschiedliche Sichtweisen haben, bedeutet das nicht, dass wir uns zerstritten haben. Im Kampf um die Demokratie ist Belarus noch nie so weit gegangen. Deshalb weiß niemand, wie wir das alles richtig machen sollen. Wir müssen aber eine Einheit sein für einen gemeinsamen Sieg. Wir alle sind selbstbewusste, selbstständige Menschen, und wir wissen, dass es im neuen Belarus viele Plätze und Möglichkeiten geben wird, wo wir uns verwirklichen können.
Zum Internationalen Frauentag veröffentlichten die Vertreter*innen des gemeinsamen Oppositionsstab Veronika Tsepkalo und der Präsidentschaftskandidat Valery Tsepkalo einen Film. Er heißt „Ich bin eine politische Gefangene“ und erzählt über weibliche Gefangene des Regimes. In der Sendung „Nasch Dom TV“ sendete Veronika Tsepkalo den Zuschauerinnen Grüße von ihrer Familie und sagte, dass der Zweck des Films darin bestehe, die Aufmerksamkeit der Weltgemeinschaft auf die Gräueltaten des Lukaschenka-Regimes zu lenken:
– Belarussische Mädchen und Frauen haben der ganzen Welt gezeigt, wozu sie fähig sind, wie friedlich ein Protest sein kann, wie erfinderisch und kreativ sie sind. Wir haben sehr viel getan, um unser Land zu verändern. Wir dürfen nicht aufhören. Wir haben ein Ziel – das Regime zu stürzen. Wir alle wollen nach Belarus zurückkehren, wir wollen dort leben und Kinder großziehen. Und wir möchten wirklich, dass dieses schwarze Kapitel in der Geschichte von Belarus niemals vergessen wird.
Pavel Latushko merkte an, dass man an diesem Tag nicht unbedingt über Politik reden muss, aber es nicht zu tun, auch falsch wäre:
– Die illegitime Regierung, die wir nicht anerkennen, gibt uns keine Möglichkeit, sie auch am Feiertag zu vergessen. Die Männer von Belarus sollten stolz darauf sein, dass sie solche Frauen haben. Ich bin froh, dass ich in meinem Leben Bekanntschaft mit Veronica Tsepkalo, Svetlana Tikhanovskaya und Maria Kolesnikova machen durfte. Ich erinnere mich an einen Fall, in dem ein Mädchen einen jungen Mann mit ihrem Körper bedeckte, den ein OMON-Polizist schlagen wollte. Ich erinnere mich an ein Mädchen, das hinter ihrem Freund in einen Gefangenentransporter einstieg. Wir haben unglaublich mutige Frauen. Wir sind eins und wir haben die Zuversicht, dass wir siegen werden.
Vadim Prokopyev dankte Olga Karach dafür, dass es ihr gelungen ist, so viele Politiker*innen in der Sendung zusammenzubringen. Er fügte hinzu, dass es nach dem Sieg der Demokratie in Belarus auch möglich sein wird, neue Feiertage zu setzen:
– Trotz der Verachtung des sowjetischen Feiertags am 8. März habe ich einen großen Respekt vor unseren Damen. Ich bin begeistert, inspiriert, ich verehre unsere Frauen. Ohne die Frauenmärsche an den Samstagen hätten wir viel verloren. Ohne dieses wundervolles Trio wäre diese ganze wunderbare Geschichte nicht passiert. Es gibt natürlich auch andere Frauen, die eine nationale Schande sind, die einen Platz in der Hölle verdienen. Aber im Gegensatz zu denen gibt es in unseren Reihen echte Heldinnen.
Igor Makar äußerte sich mit der klaren Meinung, dass die belarussischen Frauen gezeigt haben und zeigen werden, wie man das diktatorische Regime bekämpft:
– Ich bin sehr froh, dass wir uns an einem so bedeutenden Tag versammelt haben. Ich knie vor allen nieder, die auch nur ein wenig für die gemeinsame Sache gegeben haben. Unsere Frauen sind die besten, die schönsten und die nettesten. Wir Männer (und wir alle zusammen) möchten Ihnen das beste und am meisten erwartete Geschenk machen – unseren gemeinsamen Sieg. Und ich bin überzeugt, dass wir es ihnen geben werden. Wir lieben euch sehr. Wenn wir eins sind, sind wir unbesiegbar!
Olga Karach erinnerte daran, dass die Bewegung für das unabhängige Belarus vor vielen Jahren mit einem Zeltlager von Bergleuten auf dem Oktoberplatz begann. Heute kehren die Menschen zum selbigen zurück. Die Streiks in den Unternehmen des Landes dauern bis heute an, besonders hartnäckig kämpfen dabei die Bergleute. Ein weiterer Gast des Streams war ein Mitglied des belarussischen Streikkomitees „Belaruskalij“ Vitaly Dyadyuk. Er gratulierte den belarussischen Frauen im Namen des Streikkomitees und im Namen aller Bergleute und Fabrikarbeiter des Landes:
– Wir möchten vor allen Dingen den Frauen gratulieren, die jetzt illegal ihrer Freiheit beraubt sind, die ihre Angst bei Seite gelegt und sich gegen die Gesetzlosigkeit ausgesprochen haben. Sie erwiesen sich in schwierigen Zeiten mutiger als so viele Männer. Verlieren sie nicht den Mut! Wir arbeiten jeden Tag 24 Stunden daran, unseren Sieg und Ihre Freiheit näher zu bringen.
Der Internationale Frauentag ist ein Feiertag des Kampfes der Frauen für ihre Rechte, sagte Olga Karach am Ende des Streams:
– In Belarus gibt es Lohnunterschiede zwischen Männer und Frauen (etwa 30 Prozent). Es gibt soziale Probleme, gerade was niedrige Renten für Frauen, Mutterschaftsurlaub und der anschließenden Arbeit angeht. Vor hundert Jahren war die Situation jedoch noch schlimmer: Frauen konnten nicht an der Universität studieren, hatten kein Wahl- und Arbeitsrecht, konnten ohne männliche Verwandte keine wichtigen Entscheidungen treffen und über ihr Eigentum bestimmen. Wir können uns nicht vorstellen, zu welchen Kosten Frauen damals das erreicht haben, was wir heute von Geburt an besitzen. Jedoch ist die Situation vom letzten Jahrhundert zurückgekehrt: belarussische Frauen kämpfen um das Recht zu wählen und gewählt zu werden. Es hat eine ungeheure Symbolkraft, dass Alexander Lukaschenko von Svetlana Tikhanovskaya bei der Wahl besiegt wurde, dass Männer und Frauen jetzt Hand in Hand gehen und an einem Strang ziehen. Wir wollen ein neues Belarus aufbauen und werden bis zum Sieg kämpfen.
Olga Karach sagte abschließend, dass diese Sendung die erste in einer ganzen Reihe gemeinsamer Streams unter Beteiligung der Oppositionsführer*innen gewesen sei. In Zukunft können die Belarussen weitere Online-Diskussionen der Politiker*innen verfolgen und ihnen Fragen stellen. Denn es muss klar werden, dass die Protestanführer*innen als eine Einheit für das Wohl eines neuen Landes arbeiten.