Schon fast ein halbes Jahr lang sind die Schauspieler zweier Theater aus Grodno gezwungen, ohne Arbeit auszuharren. Angefangen hatte es damit, dass sie sich auf dem Höhepunkt der Polizeigewalt in Belarus weigerten, ein komödiantisches Stück aufzuführen und somit in den Streik traten. Dank „Nash Dom“ und dem öffentlichen Verein „Dapamoga“ konnten die Grodnoer im Rahmen des Programms „Kulturschaffende unter Repressionen“ nun nach Vilnius kommen. Inmitten all der Probleme des Alltags und des Einrichtens an einem neuen Ort fanden sie auch die Zeit, mit dem Vertretern des Russischen Theaters zusammen zu kommen. Und es gibt Hoffnung auf eine produktive Zusammenarbeit.

Der leitende Regisseur Wladimir Gurfinkel und die Leiterin des Theaters Olga Polevikova kennen die Situation in Belarus aus erster Hand und wissen, wie schwer es den Schauspielern gemacht wird, die demokratische Position geäußert hatten. Im Oktober 2020 führte das Theaterensemble das dokumentarische Drama „Wir atmen gemeinsam“ auf, das den Ereignissen in Belarus gewidmet war. An dem Projekt beteiligten sich neun belarussische Künstler und sechs Schauspieler des Litauischen Theaters. Mit den Schauspielern arbeiteten die belarussischen Regisseure Aleksandr Martschenko und Aleksandr Januschkewytsch. Erst neulich wurde das Theaterensemble mit dieser Produktion für das „Goldene Bühnenkreuz“ nominiert.

Obwohl das Theater durch die Quarantäne geschlossen ist, konnten Wladimir Gurfinkel und Olga Polevikova mit den belarussischen Schauspielern zusammenkommen und sich ihre Ideen anhören. Und die Grodnoer haben ein großes Schaffensbedürfnis: Zum Beispiel äußerte Veronika Minich sich und meinte, dass sie dem Publikum durch das Theater zeigen möchte, was die Gruppe in Belarus erlebt hat. Ihre Kollegin Anastasia Mutschko schlug eine Art musikalischer Aufführung über die Ereignisse in Belarus vor. Natalya Leonova hingegen hat den langgehegten Traum, einen „Abend der nicht erschossenen Poesie“ auszurichten – in Erinnerung an die Erschießungen Intellektueller im Jahr 1937:

– Das Thema „Gulag“ war in Belarus lange tabuisiert. Erst im Sommer 2020 begannen die Menschen, sich an Kurapaty zu erinnern. Diese Theatersaison wäre für mich ein Jubiläum gewesen. Jetzt sage ich: Die Regierung hat meine 20. Spielzeit erschossen.

Der bekannte belarussische Künstler Sergei Kurilenko arbeitete als Regisseur am Grodnoer Regionalen Dramatischen Theater. Am 20. September, dem Tag seiner Verhaftung, inszenierten die Schauspieler ein Stück als Zeichen der Solidarität mit ihm. Als er später erklärte, sich dem Streik anzuschließen, wurde er entlassen. Doch in Vilnius will er sich wie als Regisseur betätigen. Seine Frau Valentina Charitonova, die 40 Jahre auf der Bühne stand und diese auch nach dem Streik verlassen musste, hat dazu ebenfalls Ideen:

– Man könnte eine Aufführung des Stücks „Die Familie Tot“ von Ishtvan Erken aufführen; da gab es auch einen Diktator, dem alle gefällig sein wollen. Man könnte Ausschnitte aus verschiedenen Stücken spielen. Die Hauptsache ist es, die zu unterstützen, die vor Ort geblieben sind.

In den 6 Monaten ohne Arbeit entdeckten die Schauspieler auch ganz neue Talente, die es nun gilt mit einzubinden. Vitali Leonov, ehemaliger Schauspieler am Grodnoer Regionalen Puppentheater, kann nun Gitarre spielen. Maria Meleshko vom  Grodnoer Regionalen Dramatischen Theater berichtet von ihrer Begeisterung für Poesie: Sie schreibt inzwischen auch selbst Gedichte. Und ihr Schauspielkollege Aleksandr Radko hat angefangen, sich mit „Performance Art“ auseinanderzusetzen.

– Vor euch entfaltet sich eine bemerkenswerte Situation, die es euch ermöglicht über euch hinauszuwachsen, sagt Wladimir Gurfinkel zu den Schauspielern. – Das Leben sagt euch es gibt keine Vergangenheit, kein Gestern, nur ein Morgen. Ihr wart bisher immer in der Situation der Darsteller, aber dann wurdet ihr zu Zeugen. Nach all dem was ihr durchlebt habt, klingt nun der Monolog Medeas anders aus euren Mündern.

Olga Polevikova merkte an, dass schon die Tatsache, dass sie von belarusischen Schauspielern gemacht wird, viel über die neue Produktion sagt:

– Ihr müsst zeigen, wie stark ihr seid. Ihr seid nicht eingeknicht. Natürlich können wir „Wir atmen gemeinsam“ nicht wiederholen. Aber ihr könnt euch etwas anderes ausdenken, dass es euch ermöglicht, euch zu öffnen. Und dann können wir alle sehen, wie Litauen Anteil an Belarus nimmt. Und auf Litauen wird Europa folgen.

Die Schauspieler wurden bereits zur Theaterprobe und zum Unterricht beim Choreografen eingeladen. Sie planen, am 25. März eine Aufführung am Tag der Freiheit zu organisieren und an einem Projekt über Vilnius zu arbeiten. Aber Vladimir Gurfinkel und Olga Polevikova gaben ihnen noch ein paar Tage Zeit, um über Ideen für andere Projekte nachzudenken – es besteht jedoch kein Zweifel, dass sich die Bewohner von Grodno zukünftig auf der litauischen Bühne zeigen werden.

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