Neben der großen Anzahl von weiblichen politischen Gefangenen, die nach den Wahlen vom 9. August verfolgt wurden, gibt es eine weitere Gruppe von Gefangen, die aber leider weniger sichtbar ist. Es handelt sich um Mädchen und junge Frauen, die nach Artikel 328 (kleinere Drogendelikte) für 8 Jahre oder länger inhaftiert sind. Sie sitzen ihre Strafe unter widrigen Bedingungen in der Strafkolonie Nr. 4 in Gomel ab, wo die Minderjährigen zusammen mit erwachsenen Gefangenen untergebracht werden.
Die genaue Zahl der Mädchen und jungen Frauen, die wegen kleinerer Drogendelikte verurteilt wurden, ist nicht bekannt. Diese Daten werden sorgfältig zurückgehalten. Die letzte Information stammt aus dem Jahr 2019 – damals gab es zwei Einheiten von 100-150 Personen (insgesamt nicht mehr als 300 Mädchen), die nach Artikel 328 zum Freiheitsentzug in der Kolonie Gomel Nr. 4 verurteilt wurden. Menschenrechtsaktivisten sorgten dafür, dass diese Einheiten aufgelöst wurden – denn die Verurteilten entpuppten sich als eine Art „Aussätzige“ und lebten getrennt von Häftlingen die aus anderen Gründen verurteilt wurden.
Die Medien berichten auch nicht (oder fast nicht) über junge Frauen, die inhaftiert worden sind. Es ist aber bekannt, dass im Jahr 2019 eine kleine Gruppe von jugendlichen Häftlingen (ca. 10-15 Personen) in der Frauenkolonie war. Ja, in Belaurs gibt es keine gesonderte Kolonie für verurteilte Jugendliche – nur eine Spezialkolonie in Petrykov, in die man auch im Alter von 12-13 Jahren für kleinere Straftaten (z.B. Diebstahl, Landstreicherei, Hooliganismus) kommen kann. In der „Erwachsenen“-Kolonie besuchen die jugendlichen Häftlinge, genau wie ihre weiblichen Altersgenossen draußen, die Schule und erlernen anschließend einen Beruf. Darunter befinden sich auch Mädchen, die unter dem „Anti-Drogen“-Artikel in die Kolonie gekommen sind.
Im Jahr 2018 wurde die 16-jährige Diana Karpowitsch wegen Drogenhandels (Teil 4 des Artikels 328) zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Es ist schwer zu glauben, dass das Mädchen, das kaum die Tränen zurückhalten konnte, als ihr und ihrer Freundin das Urteil verlesen wurde, eine ganze kriminelle Gruppe organisiert haben könnte. „Stellen Sie sich vor, mein Mädchen ist jetzt 16, und in 10 Jahren wird sie ein 26-jähriges Mädchen sein, und sie hat nur das gelernt, was das Gefängnis ihr beigebracht hat“, sagt Natalya Karpowitsch, die Mutter der Verurteilten.[1]
Valeriya Kupchenya, 17, wurde zu der gleichen Strafe verurteilt. Das Mädchen beschloss, einem minderjährigen Bekannten zu helfen, der damit prahlte, dass er einen Job mit hohem Gehalt gefunden hatte. Die Teenager dachten, sie würden als Kuriere für die kontaktlose Lieferung von „legalen Aromamischungen und Tabakmischungen“ arbeiten, wie es in der Stellenanzeige hieß. Tatsächlich waren sie Teil eines organisierten Drogenhandelsrings geworden. Die Sicherheitskräfte setzten Folter und weiter Druckmittel ein, als sie Valeria verhafteten. Sie verbrachte sechs Monate in Untersuchungshaft.[2]
Iryna Antonjuk wurde im Alter von 18 Jahren zu 8 Jahren Gefängnis verurteilt – sie wurde nach Teil 3 des Artikels 328 verurteilt. Die Geschichte ist einfach: Ein befreundeter Bekannter bat das Mädchen, für ihn eine Tabakmischung in einem Online-Shop zu kaufen. Nachdem das Mädchen eine Textnachricht mit den Daten, wo sich die Mischung befand, verschickt hatte, wurde sie zum Verdächtigen in der Absicht, Drogen zu verkaufen. Während der Untersuchung wurde sie auf Basis des Absatz 4 des Artikels 328 angeklagt, obwohl es keine Beweise, sondern höchstens nur Indizien gab. Bei der Anklageerhebung berücksichtigte das Gericht nicht, dass dem Mädchen aufgrund einer schweren Erkrankung eine Lunge fehlte und eine Reihe weiterer Diagnosen vorlag. Irinas Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends, sie klagte ständig über Schmerzen, und es wurde bei ihr Krebs vermutet. Es ist klar, dass sich niemand um die Gesundheit der Gefangenen im Gefängnis kümmert. Ihre achtjährige Haftstrafe kommt wohl oder übel fast einem Todesurteil gleich.[3]
Im Jahr 2019 wurde die 17-jährige Ekaterina aus Gomel wegen Drogenhandels verurteilt. Die junge Frau arbeitet zusammen mit einer älteren Freundin schwarz für den Kurator eines „Online-Shop“, der unter dem Spitznamen Batya bekannt ist. Ihre „gute“ Arbeit reichte aus, um 60 Tausend russische Rubel im Monat zu verdienen, ein Traum für ein Schulmädchen, das von einer alleinerziehenden Mutter aufgezogen wurde. Die Behörden veranschlagten eine Hausdurchsuchen und fanden das Psychopharmakon „alpha-PVP“ in Jekaterinas Haus, und so wurde ein Verfahren gegen sie eröffnet. Allerdings wurde „Batya“ nicht festgenommen. Ekaterina und ihr Freundin werden aber jeweils zehn Jahre im Gefängnis verbringen.[4]
Einigen der Mädchen, die ihre Strafe nach Artikel 328 abgesessen hatten, wurden begnadigt. Zum Beispiel wurde Yulia Belskaya nach drei Jahren „Chemnia“ (einer offenen Strafvollzuganstalt) entlassen. Im Alter von 16 Jahren erklärte sich das Mädchen bereit, einer Paket ihrer Freundin aufzubewahren, während diese wegging – und wurde kurz darauf festgenommen. Dieselbe Freundin erzählte der Polizei, dass Yulia mit Drogen handelte. Das Mädchen plädierte auf „nicht schuldig“. Die Freundin wurde zwei Monate später verhaftet – Yuliya traf sie in der Kolonie wieder. In ihrer Einheit befand sich auch ein 14-jähriges Mädchen, das sogar zu 14 Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Das Jugendkommando in der Kolonie war mit dem Stricken von Waschlappen beschäftigt. Sie bekamen zehn Dollar im Monat und wenn man sich nicht an den Plan hielt, wurde man mit einer Geldstrafe belegt. Und es war fast unmöglich den Plan zu erfüllen: es gab Vorträge, dann Sport, dann Gespräche. Yulia führte ein aktives Leben in der Kolonie: Sie nahm an Theateraufführungen für die Kinder der Gefangenen teil, an Veranstaltungen – am Ende, als ihre Strafe überprüft wurde, wurde das auch alles berücksichtigt.
Die Minderjährigen durften auch 74 Rubel pro Monat (etwas mehr als 30 Dollar) im Gefängnisladen ausgeben und 120, wenn es keine Verstöße gab. Die Mädchen kauften Süßigkeiten und Lebensmittel, die sie an ihre Heimat und ihre Eltern erinnerten. Yuliya war angenehm überrascht, dass sie von Fremden, Aktivisten der Bewegung „Mütter 328“, unterstützt wurde.[5]
Uljana Golubtsova aus Mogilev wurde ebenfalls begnadigt. Sie wurde inhaftiert, als sie noch keine 18 Jahre alt war und wurde erst in der Haftanstalt volljährig. Nach Angaben der Ermittler schlug das minderjährige Mädchen einem mehrfach wegen Drogenbesitzes vorbestraften Erwachsenen vor, über das Internet das Psychopharmakon von ihr zu kaufen. Uljana erzählte etwas anderes: Sie traf Bekannte, die sie um ihre Telefonnummer baten, von der sie dann Drogen kauften. Daraufhin wurde sie zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Doch aufgrund der Begnadigung und Änderungen im Gesetz, wurde das Urteil überprüft – das Mädchen verbrachte insgesamt 2,5 Jahre in Haft und den Rest – in den Rest in einer „Chemnia“.
Die Inhaftierung von minderjährigen Mädchen im Land geht weiter. Im Februar 2021 wurde in Vitebsk ein verliebtes Teenagerpärchen verhaftet, das von der Polizei in Vitebsk wegen des Vertriebs von Drogen angezeigt wurde. Ein Junge und ein Mädchen im Alter von 16 und 17 Jahren machten beim gemeinsamen Spaziergang „Drogen-Geschäfte“. Bei der Durchsuchung fand man gefährliche psychotrope Drogen und Päckchen für den späteren Handel. Nun wurde ein Strafverfahren nach Artikel 328 gegen das Paar eingeleitet.[6]
[1] https://www.bbc.com/russian/features-43247680
[2] https://nash-dom.info/62198
[3] https://euroradio.fm/ru/devushka-osuzhdyonnaya-za-sms-s-koordinatami-zakladki-prodolzhaet-umirat-v-tyurme
[4] https://www.svaboda.org/a/30195268.html
[5] https://www.currenttime.tv/a/belarus-narkotiki/30422416.html
[6] https://sputnik.by/incidents/20210226/1047011920/Vlyublennuyu-parochku-nesovershennoletnikh-narkodillerov-zaderzhali-v-Vitebske.html