Wir haben hier schon oft über die Tatsache berichtet, dass Gefangene hinter Gittern ziemlich machtlos sind. Doch viele von ihnen können auch nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis nicht wieder richtig Fuß fassen. Erstens – weil die Behörden ihnen während der Inhaftierung mehr oder weniger alles wegnehmen: Geld, Eigentum und sogar ihre Wohnung. Zweitens – weil sie danach oft keine Hilfe vom Staat erhalten. Und wenn sie keine Verwandten haben, sind sie entweder auf die Unterstützung von Anderen angewiesen oder landen dann leider so oft wieder im Gefängnis.

Besonders schwierig ist es für Minderjährige, die schon in jungen Jahren ins Gefängnis kommen und meist als bereits geformte Menschen mit einer Gefängnisgrundeinstellung herauskommen. Im Jahr 2020 stellte das Innenministerium fest, dass die Jugendkriminalität in Belarus von 5,5 Tausend jugendlichen Straftätern vor 10 Jahren auf 1,5 Tausend Stand 2020 gesunken ist.[1]Es ist jedoch nicht wirklich anzunehmen, dass der Grund dafür überhaupt nicht in der gut koordinierten Arbeit der Strafverfolgungsbehörden und der Kriminalitätsprävention liegt. Wahrscheinlicher ist das Kinder und Jugendliche verstehen, wenn sie sich ihre inhaftierten Altersgenossen ansehen, dass das Gefangenendasein in Belarus nun wirklich alles andere als schön ist.

Es gibt nicht viele Angebote zum Schutz von Jugendlichen in der Haft. Ein Positivbeispiel ist dahingehend die Jugendstrafanstalt Nr. 2 in Bobruisk, wo mit Hilfe des Belarussischen Rot-Kreuz ein modernes Informationszentrum eröffnet wurde. Die Gefangenen können dort Informationen erhalten, die sie für ihre Resozialisierung benötigen: Wie sie ein Unternehmen gründen können, wo sie einen Job finden, wie sie sich weiterbilden können und vieles mehr. Möglich wurde dies durch das Projekt „EU4Youth: Developing the Potential for Employment“, das neben Belarus auch in Armenien und Georgien umgesetzt wird.[2]

Im Gefängnis sind Jugendliche auch mit dem Problem der Schul- und Berufsausbildung konfrontiert – denn am häufig wird ein inhaftiertes Kind von der Schule und der Berufsschule verwiesen. In den Arbeitslagern und Gefängnissen erwartet sie dann Arbeit in der Schwerindustrie (in der Strafanstatalt Bobruisk ist es bspw. die Arbeit mit Abfallprodukten von “Belshina”). So wird das Recht der Minderjährigen auf Bildung und die Verfassung der Republik Belarus, die jedem Bürger eine weiterführende Bildung garantiert, verletzt. Im Jahr 2016 schlug das Innenministerium Änderungen des Bildungsgesetzes vor. Die Sekundarschulbildung für Minderjährige in Untersuchungshaft oder anderen Haftanstalten sollte nicht unterbrochen, um anschließend eine Berufsausbildung erhalten zu können.[3]

Im selben Jahr wurde ein Projekt zum Fernunterricht für jugendliche Häftlinge gestartet. Im Jahr 2018 studierten 15 Personen in der Jugendstrafanstalt Nr.2 von Bobruisk per Fernstudium. Den Häftlingen wurden drei Fachrichtungen zur Auswahl angeboten: Psychologie, Transportlogistik und Management. Das Studium wurde bezahlt, und es war auch möglich and einer IT-Klasse in der Kolonie teilzunehmen. Die Insassen hatten Papierlehrbücher und bekamen ihre Aufgaben zugeschickt.[4]

Nach den Hochschulprotesten im Jahr 2019 hat man jedoch nichts mehr von dem Bildungsprojekt für Gefangene gehört.[5]  Wenn es unterbrochen wurde, bedeutet das, dass keine jugendlichen Gefangenen mehr eine höhere Ausbildung erhalten können. Dann müssen sie sich mit einer Ausbildung als Mechaniker, Schreiner, Holzarbeiter, Drechsler oder Klempner zufriedengeben.

Darüber hinaus wurde die Errichtung eines psychologischen Beratungsstelle – einem Komplex, der alles Notwendige für die Durchführung von Kursen zur psychologische Behandlung enthalten würde – in der Jugendstrafanstalt Nr. 2 im Jahr 2019 ins Auge gefasst. Dieses Projekt wurde während des Besuchs der britischen Botschafterin Fionna Gibb und des UNICEF-Vertreters Rashed Mustafa Sarwar in Belarus im Gefängnis vorgeschlagen. So plante die Anstalt den jugendlichen Gefangenen psychologischen Schutz zu bieten, aber seitdem hat niemand mehr etwas von dem Projekt gehört. (5) Interessanterweise fand dieser Besuch der ranghohen Vertreter auf Wunsch der Eltern der jugendlichen Gefangenen statt, weil die Eltern selbst ihre Kinder nicht dazu bringen konnten ihnen zu erzählen, was hinter dem Stacheldrahtzaun geschah.

Jugendliche Gefangene (die unter dem „Anti-Drogen-Artikel“ Nr.328 im Gefängnis sind), die keine Unterstützung von Verwandten haben, können diese bekommen indem sie sich mit den „Müttern von 328” in Verbindung setzen. Es dürfen keine Pakete von Fremden in die Kolonie geliefert werden, aber Briefe bedeuten auch viel für die Kinder, die unter harten Bedingungen allein gelassen werden. Darüber hinaus setzen sich die Aktivistinnen regelmäßig für die rechtmäßige Überprüfung der Strafen für die Kinder-328 ein.

Nikolai Awtuchowitsch

Zusätzlich zu den Bildungsproblemen haben die Gefangenen (nicht nur Minderjährige) noch andere Probleme: rechtliche, medizinische und häusliche. In 2017 wurde die Initiative “Time Act” gestartet, gegründet von dem ehemaligen politischen Gefangenen Nikolai Awtuchowitsch und Vasiliy Zavadsky, dem ehemaligen Leiter des medizinischen Dienstes der Abteilung für Strafvollzug des Innenministeriums. Die Organisation beobachtet die Situation in den Haftanstalten Belarus durch die Erzählungen von Gefangenen und ihren Angehörigen. Die Haftentlassene können sich an die Experten der Initiative wenden. Die Seite bietet Kontaktmöglichkeiten für medizinische, psychologische und juristische Hilfe, sowie die Adresse, für die neue Beantragung eines Reisepass, sowie andere Informationen.

Stanislav Tsybinsky

Das größte Problem ist jedoch die anschließende Beschäftigung der Ex-Häftlinge. Viele von ihnen sind aufgrund ihrer Vorstrafen nicht erwünscht und etwa 40-50 Prozent der Inhaftierten, jene die Probleme bei der Reintegration haben, landen wieder Gefängnis. Stanislav Tsybinsky, der eine Haftstrafe wegen Mordes verbüßte, weiß aus erster Hand, wie schwierig es ist einen Job zu finden:

„Ich ging zum Arbeitsamt, zeigte meine Diplome (ich habe fünf davon), sie sagten mir: “Wir stellen Sie nicht ein, Sie haben keine Aufenthaltsgenehmigung”. Ich habe um Hilfe gebeten, einen Job zu finden, aber ich bekam sie nicht. Sie wollen dir nicht helfen. Ein Mensch hat seine Strafe verbüßt, warum sollte er also hier in Freiheit wieder in den Abgrund gestoßen werden? Alles in allem hatte ich 158 Absagen erhalten. Sehr oft hatte ich Hunger, ich hatte Gedanken, einfach in den Laden zu kommen und eine Wurst, ein Brot zu klauen und beides gleich dort zu essen. Ich lernte dann einen Mann kennen, der mir half einen Job in einem Restaurant, als Helfer zu bekommen. Danach wurde ich gebeten, als Kellner zu arbeiten, was auch gut klappte, ich bekam sogar ein bisschen Trinkgeld von den Kunden. Danach wurde ich offiziell eingestellt und arbeite nun schon das dritte Jahr in dieser gleichen Stelle“.[6]

Nach erfolgreicher Beschäftigung wandte sich Stanislav aber nicht von anderen Ex-Häftlingen ab. Er teilte Essen und Kleidung mit den Jungs und half ihnen bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. Er bekam bald ein Team zusammen, das nun zusammen ehemaligen Häftlingen hilft. Im Jahr 2019 erhielt Stanislav mehr als 3 Tausend Briefe mit der Bitte um Hilfe.

Im Juli 2020 wurde die Gründung der Online-Plattform “HelpStep” bekannt, die Haftentlassenen dabei helfen soll einen Job zu finden. Das Projekt in die Wege geleitet hat der ehemalige Häftling Stepan Gromyko, der auf viele Menschen traf, die draußen keine Unterstützung erhielten und in die „Zone“ zurückkehrten. Das Projekt ist auch für den Einsatz in anderen Orten des Landes und sogar im Ausland – in Moskau und St. Petersburg – vorgesehen. Einige Unternehmen bitten Stepan direkt um Hilfe bei der Suche nach Mitarbeitern. Das HelpStep-Projekt war einer der Gewinner des Social Weekend.[7]

Es gibt leider immer noch viele Probleme, bei denen Insassen jeden Geschlechts und Alters nicht auf Unterstützung zählen können. Zum Beispiel kann niemand die Gefangenen vor den Misshandlungen durch die Verwaltung schützen – der einzige Ausweg ist zu oft für viele leider dann nur noch der Selbstmord (so geschehen bspw. bei Andrei Dubik, einem 25-Jährigen, der seine Strafe in der Strafkolonie Nr. 1 in Nowopolotsk verbüßte). Das Schlimmste ist, dass selbst die Angehörigen des Verstorbenen dann nicht herausfinden können, was passiert ist, weil diese Informationen sorgfältig und absichtlich zurückgehalten werden.

[1] https://www.belta.by/society/view/v-belarusi-za-desjat-let-podrostkovaja-prestupnost-snizilas-v-chetyre-raza-mvd-416428-2020/

[2] https://redcross.by/osuzhdennye-i-byvshie-osuzhdennye-kak-poluchit-pomoshh/

[3] https://naviny.online/article/20160930/1475213511-tret-osuzhdennyh-vozvrashchaetsya-za-reshetku-kak-etogo-ne-dopustit

[4] https://minsknews.by/bez-interneta-no-s-pesnyami-reportazh-iz-vospitatelnoy-kolonii-dlya-nesovershennoletnih/

[5] https://www.belta.by/regions/view/tri-proekta-za-schet-inostrannyh-sredstv-planiruetsja-realizovat-v-detskoj-kolonii-v-bobrujske-343784-2019/

[6] https://people.onliner.by/opinions/2020/05/07/mnenie-1262

[7] https://www.belta.by/society/view/internet-ploschadku-pomoschi-v-trudoustrojstve-byvshim-zakljuchennym-sozdadut-v-belarusi-397794-2020/

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