Olga Zolotar ist in Belarus im August 2020 durch ihre ehrenamtliche Tätigkeit in der Nähe der Untersuchungshaftanstalt Okrestsina bekannt geworden. Im März tauchte der Name der Frau aus Zhdanovichys, Nähe Minsk, nun wieder auf – gegen sie wurde ein Strafverfahren nach Artikel 361 des Strafgesetzbuches (Gefährdung der nationalen Sicherheit) eingeleitet. Jetzt sitzt Olga in der Haftanstalt Nr. 1, ihr Mann verbüßt gleichzeitige eine Strafe für eine weiß-rot-weiße Fahne in seinem Fenster, und ihre fünf Kinder – vier bis 17 Jahre alt – wohnen bei ihrer Großmutter. Ob sie ihre Mutter in den nächsten fünf Jahren sehen werden, ist nicht bekannt.

Olga Zolotar, studierte Soziologin, war Wahlbeobachterin

Olga Zolotar ist 38 Jahre alt. Sie studierte in der Geschichtsklasse des Lyzeums der Belarussischen Staatlichen Universität, absolvierte die Fakultät für Philosophie und Sozialwissenschaften der Belarussischen Staatlichen Universität und hat einen Master-Abschluss in Soziologie. Sie spricht nur Belarussisch. Ihre Freunde erinnern sich, dass sie gerne durch Belarus reiste, Theater und Museen besuchte und sich immer für das gesellschaftliche Leben in Belarus interessierte und einsetzte. Sie ging auch immer in die Kirche, die ein fester Bestandteil ihres Lebens war.

Ihr Ehemann Sergei Gankevich ist ausgebildeter Ökonom und inzwischen im Farbverkauf tätig. Im Gegensatz zu seiner Frau war Sergej nicht an öffentlicher Arbeit oder Aktivismus interessiert, betrachtete aber mit Verständnis Olgas Entscheidung und unterstützte sie dabei. Die Familie hat fünf Kinder: die älteste Tochter ist 17 Jahre alt und das jüngste Kind, ein Junge, ist 4 Jahre alt.

Im Sommer 2020 beteiligte sich die Familie aktiv an den Protesten – vor allen Dingen Olga. Sie meldete sich als unabhängige Beobachterin im Wahllokal in Zhdanovichi an, wurde dort aber nicht zugelassen. Nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in den ersten Tagen nach der Wahl begann Olga, sich noch mehr zu engagieren und besuchte beispielsweise die Haftanstalt in Okrestina. Trotz des enormen Stresses in den ersten Tagen der Proteste fand sie Kraft dort, mit alldenjenigen, die dort in Untersuchungshaftanstalt saßen, zu reden, Witze zu machen und sie zu unterstützen.[1]

Der Einsatz in Okrestina war aber nicht das Ende von Olgas Engagement: bald schloss sie sich den Gerichtsbeobachterinnen an. Sie versuchte so viele Gerichte wie möglich zu besuchen und schrieb Beschwerden über dortige Verstöße. Hinzu hat die Familie ein zweistöckiges Privathaus. Dort begann Olga im Hof, Teepartys zu organisieren und die umliegenden Nachbarn einzuladen.[2]

Die vier Festnahmen von Olga Zolotar

Das erste Verfahren gegen Olga wurde bereits im Herbst 2020 eingeleitet. Am 10. September organisierten die Bewohner einer der Höfe in Zhdanovichy eine Teeparty mit weiß-rot-weißen Fahnen. Nach der Party wurden die Teilnehmer festgenommen, unter ihnen auch Olga. Das Gericht verurteilte sie zu einer Geldstrafe gemäß Artikel 23.34 des Verwaltungsgesetzbuchs wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Veranstaltung. Olga sagte, dass sie auf dem Foto der Teeparty, das als Grundlage für die Verhaftung diente, nicht einmal zu sehen sei.[3]

Das zweite Mal wurde Olga am 28. Januar festgenommen. Sie schrubbte Farbe von einem verschmierten Bild von Pawel Latuschka, welches auf einer Telefonzelle gemalt war. Die Polizei ermittelte gegen sie nach Artikel 17.1 des Verwaltungsgesetzes (ordnungswidriges Verhalten). In dem Bericht hieß es, sie habe „die Farbe an der Stelle des gemalten Porträts abgewaschen und damit grob gegen die öffentliche Ordnung verstoßen und offensichtliche Respektlosigkeit gegenüber der Gesellschaft gezeigt“. Übrigens, zu einer Gerichtsverhandlung kam es dafür nie.[4]

Einige Tage später, am 31. Januar, wurde Olga Zolotar erneut festgenommen. Dieses Mal wurde sie für zwei Tage nach Okrestsina geschickt. Auf der Unabhängigkeitsallee in Minsk wurde sie von der Polizei angesprochen und aufgefordert, zur Klärung ihrer Identität auf die Polizeiwache zu gehen. Sie begründeten ihr Interesse an ihrer Identität damit, dass sie eine Tasche aus dem Geschäft „Sosedi“ und eine Maske im Gesicht trug – und Leute mit solchen Zeichen würden angeblich eine nicht genehmigte Mahnwache organisierten.

Auf Okrestina versuchte Olga, nach Bettzeug und Hygieneartikeln zu fragen, auf die sie einen gesetzlichen Anspruch hatte, sie bekam dafür immer nur ein „alle Fragen an die Vorgesetzten“ als Antwort. Die Aufseher waren nie da, nur das Rote Kreuz, das die Gefangenen mit Kleidung versorgt, brachte ihnen etwas, sofern man sie denn ins Gefängnis ließ. Es waren 16 Personen in der Zelle für sechs Betten und das Licht war den ganzen Tag über an. Die Häftlinge bekamen weder Essen noch Trinken. Doch alle in der Zelle unterstützten sich gegenseitig, erzählten Geschichten, sangen Lieder und machten gemeinsam Sportübungen. Nach 48 Stunden in der Zelle stand Olga vor Gericht – sie wurde zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen nach Artikel 23.34 verurteilt.[5]

Zum vierten Mal wurde Olga am 18. März festgenommen – einen Tag bevor sie und ihr Mann in die Türkei in Urlaub fliegen wollten. Der Inhaftierung ging ein Besuch der Behörden bei der Familie voraus, die die Lebensbedingungen der Kinder überprüften. Am 18. März brachte Olga ihre Tochter zum Zymbalunterricht in der Musikschule. Beamte der Hauptabteilung für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und der Korruption stoppten ihr Auto und nach der Hausdurchsuchung brachten sie sie in die Haftanstalt. Sergej war zu dieser Zeit bei der Arbeit. Die zehnjährige Tochter der Frau wurde allein zu Hause gelassen.[6]

Eine auseinandergerissene Familie

Bei der Durchsuchung des Hauses von Olga wurde im Kinderzimmer eine weiß-rot-weiße Fahne gefunden. Am 19. März wurde der Ehemann von Olga, Sergej, dafür bestraft. In dem Bericht wurde festgestellt, dass Sergej am 18. März um 13.50 Uhr eine nicht registrierte Fahne im Fenster seines Privathauses für die Öffentlichkeit aufgehängt und somit eine Mahnwache abgehalten hat. Zur gleichen Zeit kam Sergei erst um 14.30 Uhr von der Arbeit, und zum Zeitpunkt der „Mahnwache“ war nur seine Tochter zu Hause. Um 23.00 Uhr wurde er Berichten zu Folge zur Vernehmung vorgeladen – dort erfuhr er erst von der Anzeige gegen sich nach Artikel 24.23.

Bei der Verhandlung sagte Sergej, dass sie nie Fahnen zu Hause hatten. Außerdem hieß es in dem Bericht, dass die „Mahnwache“ im Haus 58 abgehalten wurde, Olgas und Sergejs Familie aber im Haus 56 wohnte. Der Zeuge – der Polizist Pavel Yukhimenka – gab an, dass es sich um einen technischen Fehler handelte. Es ist tatsächlich auch so, selbst wenn die Fahne im Fenster des ersten Stocks gehangen hätte, hätte sie niemand von der Straße aus sehen können – der Zaun um das Haus sind höher als 2 Meter. Der Polizist sagte, er sei aufgesprungen und habe das Fenster im ersten Stock gesehen.

Olgas Mutter bestätigte auch, dass die Familie keine weiß-rot-weißen Fahnen im Haus aufbewahen wuürde. Sie erklärte dies damit, dass Sergei unpolitisch sei und seine Familie ernähren müsse. Der Richter berücksichtigte die Fehler im Protokoll nicht und verurteilte Sergei zu 10 Tagen Gefängnis. Die Fünf Kinder wurden in der Obhut ihrer Großmutter gelassen.[7] Die zuständigen Behörden wollen nun feststelle, ob das Paar die elterlichen Pflichten ausreichend wahrgenommen hat.

Die Version der Behörden – was droht Olga?

Nach Angaben des stellvertretenden Leiters der Minsker Stadtpolizei Sergej Udodow, organisierte Olga Zolotar Protestaktionen in Zhdanovichy. Außerdem war die Frau nach Angaben des Vertreters der Polizeibehörde die Administratorin des lokalen Hof-Chatrooms und organisierte seit dem Sommer 2020 nicht genehmigte Massenaktionen: Teepartys, Spaziergänge und Konzerte.

„Wiederholt erhielten die Polizei von Zhdanovichy und die Linie „102“ Beschwerden von Anwohnern, dass die Teilnehmer der nicht genehmigten Massenveranstaltungen den Komfort und die Erholung stören. Jedes Mal, sobald sie die Polizeibeamten sahen, taten die „Aktivisten“ alle Protest-Symbole weg und sagten, sie hätten sich einfach versammelt, um „sich Gesellschaft zu leisten“ oder „einen Tee zu trinken“, aber nach der Abreise der Strafverfolgungsbehörden, gab es Bilder in den verschiedenen Chats, wo die Teilnehmer zwar „Tee trinken“ würden, aber von Protestsymbolen umgeben, die im Hof des Paares aufgehangen wurden,“ heißt es in der Erklärung. Das Innenministerium fügte hinzu, dass die Inhaftierte mehrmals zur administrativen Verantwortung gebracht worden sei.

Ein Verfahren nach Artikel 361 des Strafgesetzbuches (Aufrufe zu Handlungen, die darauf abzielen, die nationale Sicherheit der Republik Belarus zu schädigen) wurde gegen Olga nur vier Tage nach ihrer Verhaftung eingeleitet. Maria Kolesnikova, Ilya Salej und Maksim Znak befinden sich unter demselben Artikel in Untersuchungshaft. Pavel Latushko wird ebenfalls unter demselben Artikel angeklagt – er wird international gesucht. Die Strafe nach diesem Artikel beträgt bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.

[1] https://charter97.org/ru/news/2021/3/23/415857/

[2] https://news.tut.by/society/723332.html

[3] https://news.tut.by/society/701065.html

[4] http://spring96.org/ru/news/102531

[5] https://euroradio.fm/ru/muzh-govorit-detyam-pravdu-istoriya-mamy-pyateryh-detey-pobyvavshey-na-okrestina

[6] https://www.currenttime.tv/a/belarus-zolotar-delo/31163988.html

[7] https://spring96.org/be/news/102528

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