Heute kann man in Belarus wirklich niemanden mehr damit überraschen, dass man für absolut alles festgenommen werden könnte – für einen Kommentar in den sozialen Netzwerken, für rot-weiße Kleidung, für das Schlangestehen… Es gibt jedoch Fälle, die doch ein bisschen mehr Aufsehen erregen. In einem Versuch die Menschen zu Sklaven zu machen, sind die Behörden bereit ihre Bürger für Herzen an den Fenstern, für die “falsche” Zeichen an den Häusern und für das Lesen von Büchern im Zug zu verhaften. Wir präsentieren Ihnen eine Auswahl der absurdesten Verhaftungen in Belarus aus den letzten Monaten.
Inhaftiert für die Verteilung von Essen an Obdachlose
Am 23. Januar wurden Aktivisten und Betreuer der Initiative „Essen statt Bomben“ im Mikhailouski-Park in Minsk festgenommen. Die Polizei nahm auch die Behälter mit Lebensmitteln mit, die für Obdachlose bestimmt waren. Freiwillige und ihre Schützlinge wurden auf verschiedene Polizeistationen gebracht.
Die Essensverteilung lief eigentlich ab wie, als plötzlich die Polizei auf der Kirow-Straße erschienen. Die Aktivisten mit ihren Essensbehältern rannten in einen Innenhof, einige Leute schafften es sich in den Eingängen zu verstecken, aber die Ordnungshüter folgten ihnen. Einige von ihnen wurden festgenommen und in Polizeibusse gesteckt. Wenig später wurde bekannt, dass die Verhaftung der Freiwilligen auch auf dem Platz von Simon Bolivar stattfand.
Die freiwillige Ärztin und Gründerin der Freiwilligeninitiative „Street Medicine“ Karina Radchenko und die freiwillige Helferin Tatsiana Loboza wurden ebenfalls festgenommen. Sie führten gerade ärztliche Untersuchungen an Obdachlosen durch.[1]
Festgenommen wegen Musik Spielens im U-Bahn Durchgang
Am 11. Februar, am ersten Tag der Belarussischen Volksversammlung, wurde der 36-jährige Musiker Andrei Dragun in der Unterführung in der Nähe der U-Bahn-Station Niamiha festgenommen. Er spielte Gitarre und sang Lieder.
Für den Musiker wurden zwei Anklagen erstellt: nach Absatz 1 des Artikels 23.34 (Teilnahme an einer nicht genehmigten Massenveranstaltung) und Artikel 23.4 des Verwaltungsgesetzes (Ungehorsam). Am 12. Februar wurde Andrei Dragun der Prozess gemacht. Der Musiker plädierte auf „nicht schuldig“ in allen Anklagepunkten. Während des Prozesses erkundete sich der Richter beim 36-jährigen Mann nach einigen fragwürdigen Dingen, wie dem Mädchennamen seiner Mutter.
Andrei Dragun wurde zu 20 Tagen Haft verurteilt.[2]
Inhaftiert für das Lesen von Büchern im Zug
Am 26. Februar wurden 14 Rentnerinnen bei einer Fahrt mit dem Zug von Minsk nach Maladechno festgenommen. Die Frauen wurden auf die Polizeiwache gebracht, wo eine Anzeige wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten öffentlichen Veranstaltung erstellt wurde. Die Aktion bestand darin, Bücher in belarusischer Sprache zu lesen. Nachdem die Berichte erstellt worden waren, wurden die Frauen zur TDF gebracht.
Eine der Rentnerinnen, die 66-jährige Halina Gulenkova, wurde zu 20 Tagen Haft verurteilt. Alena Zastenchyk wurde zu einer Geldstrafe von 1740 Rubel verurteilt. Sechs Rentner erhielten Geldstrafen in Höhe von 870 Rubel. Der Prozess gegen die 75-jährige Natalia Ivanisova fand am Tag der Festnahme statt – sie erhielt eine Geldstrafe von 725 Rubeln. Insgesamt sollten die Rentner dem Staat 7685 Rubel (ca. 2500 €) zahlen.[3]
Inhaftiert für die Verschenken von Blumen an Frauen
Am 7. März wurde im Saligorsker Park „Vier Elemente“ Alexander Novick, Mitglied des Streikkomitees der OJSC „Belaruskali“, festgenommen. Er ging spazieren und schenkte den Frauen zu Ehren des Internationalen Frauentags Blumen. Am 9. März wurde ihm der Prozess gemacht. Alexander Novick wurde wegen der Teilnahme an einer nicht genehmigten Massenveranstaltung zu 15 Tagen Haft verurteilt.[4]
Festgehalten für weiße und rote Herzen auf dem Fenster
Am Freitag, den 19. März, fand im Gericht des Sawetski-Bezirks von Minsk ein Prozess gegen den 52-jährigen Igor Lemesheu statt, der drei Herzen aus weißem und rotem Papier am Fenster seiner Wohnung angebracht hatte. Igor wurde am 18. März festgenommen – angeblich rief „ein besorgter Bürger“ die Polizei an und informierte über die unerlaubt im Fenster hängenden weiß-rot-weißen Herzen im 10. Stock. Die Polizei erstellte einen Bericht über Igor Lemeshev nach Artikel 24.23 über die Verletzung der Ordnung der Durchführung von Massenveranstaltungen. Der Mann verbrachte die Nacht in Gewahrsam. Vor Gericht sagte er, dass die Herzen von seinen Kindern vor dem Neujahrsfest herausgeschnitten wurden. Der Richter versuchte Igor zu fragen, warum die „politischen“ Farben für die Herzen gewählt wurden und warum es genau drei davon gab. Das Verhör sah in etwa so aus:
– Warum genau drei Herzen?
– Weil die Kinder so viele ausgeschnitten hatten.
– Woher kommen die Blätter?
– Aus einem farbigen Papier-Set
– Warum haben sie die grünen Herzen nicht ausgeschnitten?
– Rote Herzen sind doch normal.
Der Richter befand Igor Lemeshev des unerlaubten Streiks für schuldig und verurteilte ihn zu 15 Tagen Haft.[5]
Festgenommen wegen eines Schildes mit einer Adresse
Am 26. März wurde Andrei Drazhin aus Ivanovo, Region Brest, festgenommen. Sein Haus hat ein weißes Adressschild mit einem roten Streifen in der Mitte. Vorher hat es sechs Jahre lang niemanden gestört, aber jetzt kamen deswegen sechs Leute, um den Besitzer des Hauses festzunehmen: vier Gesetzeshüter in Uniform und zwei in Zivil, die als Zeugen vorgestellt wurden.
Alle Räume auf dem Grundstück wurden auf verbotene Symbole überprüft. Daraufhin wurden zwei Schilder abgenommen und beschlagnahmt. Die Polizisten erklärten, dass weiß-rot-weiße Schilder mit dem Straßennamen und der Hausnummer in lateinischen Buchstaben einem unangemeldeten Protest gleichzusetzen seien.
Andrei Drazhin hat ein minderjähriges Kind zu Hause. Die Familie durfte sich nicht mit dem Protokoll vertraut machen. Der Grund für den Besuch, so der Sohn des Angeklagten, war ein anonymer Anruf bei der Polizei. Aber auf welcher Grundlage das Schild mit der Hausnummer als Protest gilt, ist noch unklar.[6]
Festgehalten wegen der Farbe der Uniformweste und der Tasche
Am 27. März wurde der Kurier des Lebensmittel-Lieferdienstes Menu.by Alexander festgenommen. An diesem Tag hatte er eine Bestellung aufgenommen, holte sie in einem Schnellrestaurant in der Nähe der Metrostation „Puschkinskaja“ ab, dann ging er zum Bus. In diesem Moment sah er eine Säule mit militärischer Ausrüstung und machte ein Foto davon. Fast sofort wurde er von Gesetzeshütern angesprochen, aufgefordert sein Telefon zu zeigen und dann festgenommen. Im Bericht stand, dass er kein Essen bei sich hatte. Und laut den Fallunterlagen nahm der Mann an einer nicht genehmigten Kundgebung teil, bei der er Slogan rief und in die Hände klatschte. Darüber hinaus wurde in sozialen Netzwerken seine Nachricht gefunden, dass im Bereich der U-Bahn-Station „Pushkinskaya“ es Bereitschaftspolizei gäbe. Es ist anzumerken, dass die Kuriere des Lieferdienstes, bei dem Alexander arbeitet, in auffällige rote Westen mit weißem Menu.by-Logo gekleidet sind und rote Thermotaschen für Lebensmittel mit sich führen. Während der Befragung eines Zeugen vor Gericht, eines Polizeibeamten, klärte der Richter die Farbe der Kleidung des Angeklagten. Alexander wurde für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 1740 Rubeln verurteilt.[7]
Festgehalten, weil sie auf der Allee zu zweit spazieren gingen
Sergey und Ivan Bryusau wurden ebenfalls am 27. März verhaftet. Sie waren auf der Independence Avenue auf dem Heimweg und beschlossen die Kolonne mit der militärischen Ausrüstung zu fotografieren. Die Polizeibeamten bemerkten es und nahmen die Brüder fest. In Pershamaiski Polizeiabteilung wurde eine Anklage nach Artikel 24.23 und 24.3 des Verwaltungsgesetzbuches erstellt – laut Bericht waren Sergey und Ivan an „der organisierte Bewegung einer Gruppe von zwei Personen beteiligt und weigerte sich den Polizeiwagen zu betreten, als sie festgenommen wurden.“ Die Brüder kümmern sich um ihre kranke Mutter, die einen Schlaganfall erlitten hat. Jeder von ihnen wurde zu 30 Tagen Haft verurteilt.[8]
Sitzen für Pizza und Kaffee
Die Geschichte passierte einer 29-jährigen Künstlerin des Orchesters des Bolschoi-Theaters von Belarus, Anastasia Petrova. Am 27. März, um 14.10 Uhr, beendete sie ihren Auftritt. Sie und ihre Freundin beschlossen an der frischen Luft Pizza zu essen. Die Mädchen gingen in die Pizzeria „Dodo-Pizza“. Um 15.30 Uhr wurde Anastasia am Ausgang der Pizzeria mit Essen und Kaffee in den Händen festgenommen.
Im Bericht unter Artikel 24.23 des Verwaltungsgesetzbuches wurde geschrieben, dass die junge Frau „an einer Massenveranstaltung teilnahm und „Lang lebe Belarus“ rief“. Anastasia plädierte auf „nicht schuldig“. Dennoch wurde die 29-jährige Schauspielerin vor Gericht für schuldig befunden und zu 15 Tagen Haft verurteilt.[9]
Festgehalten für Exkursion
Am 27. März nahmen die Polizisten in Novogrudok eine Gruppe von 15 Personen fest, die sich zu einem Ausflug in das den Novogrudok-Tataren gewidmete Museum versammelt hatten. Die Leute kamen ins Museum und bezahlten für den Ausflug. Um zwei Uhr kam Anastasiya Grytskevich, Museumsmitarbeiterin, zur Gruppe auf den Platz, aber man ließ sie nicht einmal den Ausflug beginnen. Die Gruppe wurde von der Polizei umstellt. Die Teilnehmer der Tour trugen keine Fahnen oder anderen Symbolen. Der Reiseleiter wurde übrigens nicht festgenommen. Die Leute wurden auf dem Platz festgehalten bis sie ihr Geld für die Tour zurückbekamen und wurden dann zur Polizei gebracht.
Sie wurden einige Stunden später wieder freigelassen. Es wurden Berichte über die Exkursionsteilnehmer erstellt, die im Verdacht standen eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Übrigens wurden im Januar in Novogrudok auch eine Exkursionsgruppe und ein ehemaliger Direktor des örtlichen Gymnasiums festgenommen, die es nicht einmal zur Exkursion geschafft hatten.[10]
[1] https://reform.by/196249-v-minske-vo-vremja-razdachi-edy-bezdomnym-zaderzhany-aktivisty-i-podopechnye
[2] https://nn.by/?c=ar&i=268260&lang=ru
[3] https://www.currenttime.tv/a/belarus-train-pensioners-detention/31130007.html
[4] https://ex-press.by/rubrics/obshhestvo/2021/03/10/na-15-sutok-osudili-stachkomovcza-kotoryj-daril-zhenshhinam-czvety
[5] https://reform.by/209987-za-tri-serdechka-na-okne-minchanina-arestovali-na-15-sutok-serdca-izjali
[6] https://news.tut.by/society/724190.html?c
[7] https://people.onliner.by/2021/03/29/sudyat-dostavshhika-edy-menu-by
[8] https://t.me/viasnanazirae/228
[9] https://belsat.eu/news/29-03-2021-sodni-vynosyats-vypadkovym-minakam/