Am 24. März fand der Prozess gegen die 47-jährige Übersetzerin Olga Kalatskaja statt. Sie gab im November einem menschenverachtenden Mitarbeiter des staatlichen Fernsehsenders STV Grigory Azarenok zwei Ohrfeigen, nachdem dieser Oppositionelle beleidigt hatte. Das Urteil erwies sich als ziemlich hart – zwei Jahre Haft auf Bewährung. Jetzt hat die Belarusin, die u.a. die Werke von Virginia Woolf, Margaret Atwood und William Golding übersetzt hat, eine Strafanzeige wegen böswilligem Vandalismus bekommen.

Wir erzählen von Olga Kalatskaja, eine Bewunderin der belarussischen Literatur und unabhängige Wahlbeobachterin.

Seit ihrer Kindheit wollte Olga Übersetzerin werden. In der Schule hatte sie eine sehr gute Englischlehrerin, dank der Olga diese Entscheidung getroffen hat. Während des Studiums an der Universität stieg die Studentin in den Kreis der belarussischen Jugend ein – und interessierte sich für die belarussische Kultur. Bücher vieler ausländischer Autoren erschienen dank ihr auch in der belarussischen Sprache.[1]

Olga Kalatskaja übersetzte Werke von Virginia Woolf, Tennessee Williams, William Golding, Paul Oster, Tony Parsons, Arthur Golden und anderen ins Belarussische. Die Übersetzungen wurden in den Zeitschriften „Krynitsa“, „Dzejaslou“ und ARCHE veröffentlicht. Sie übersetzte auch Dutzende von Filmen und Trickfilmen ins Belarussische, darunter „Gladiator“, „Shrek-2“ und viele mehr. [2]

Neben der Arbeit als Dolmetscherin bereitete Olga Abiturienten auf zentralisierte Tests in Englischer Sprache vor. Mehrmals war sie in Großbritannien, schaffte es aber nie, für immer dort zu bleiben – die ganze Zeit zog es sie in ihre kleine Heimat zurück. Olga spricht Belarussisch im Alltag und liebt die belarussische Literatur, vor allem Ales Rjasanow, Tatiana Sapach, Valentin Akudovich und Vladimir Orlov.

Als der Wahlkampf im Land begann, meldete sich Olga Kalatskaja als unabhängige Wahlbeobachterin an. Sie und ihre Nachbarn zählten die Teilnehmer der vorgezogenen Abstimmung, insgesamt 763 Personen. Aber es standen 2127 Teilnehmer im Protokoll der vorzeitigen Abstimmung. Und am Tag der Abstimmung war es umgekehrt:  in drei Wahllokalen zählten die Beobachter 3.666 Wähler, und die Protokolle enthielten nur 1.922 Personen. Wie erwartet, wurden Olga und vier weitere unabhängige Beobachter nicht zum Zählen zugelassen. Die Wahlkommission wurde mit den Autos der Kreisverwaltung abtransportiert. Die Übersetzerin schrieb später in ihrem Tagebuch: Die Abstimmungsergebnisse „verursachen nur Lachen und Fluchen“, da die Wahlbeteiligung so bei 105% hätte liegen müssen. Zusammen mit einem Team von Beobachtern beschlossen sie, eine Erklärung zur Einleitung eines Strafverfahrens abzugeben. Am selben Abend ging Kalatskaja zum Denkmal „Stela“, wo Proteste bereits begonnen hatten.[3]

Im September unterstützte Olga die Studenten der MGLU. Dort studierte sie einst selbst und hat später unterrichtet.

„Meine Lieben, heute möchte ich am liebsten bei euch sein! Zusammen mit wunderbaren jungen Leuten, dank denen ich wieder meine Alma Mater respektiere! Ich umarme euch alle fest! Wahrscheinlich bilden die europäischen Sprachen europäisches Denken und vermitteln europäische Werte: Verantwortung, Unabhängigkeit, Wille! „You’re so cool, guys! I love you! You’ll do it your way!» –  schrieb die Übersetzerin.

Olga war besonders betrübt über den Tod von Roman Bondarenko. Sie hinterließ einen entsprechenden Beitrag auf ihrer Social-Media-Seite. Am 15. November, am Tag des Protestmarsches zum Gedenken an den Helden des „Platz der Veränderungen “ hatte die Frau einen Konflikt mit Grigori Azarenok.

Bis zu sechs Jahre Haft für eine Ohrfeige

Am 15. November beschloss Olga, auf den Westfriedhof zu gehen, um das Grab ihres Vaters zu besuchen. An der Haltestelle sah sie, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht fahren. Sie wartete eine halbe Stunde und beschloss, den Bus zur U-Bahn-Station Puschkinskaja zu nehmen und von dort zum Friedhof zu fahren.

In Puschkinskaja sah die Übersetzerin eine Gruppe von Menschen, mit denen Grigory Azarenok sprach. Er fragte, warum sie sich dort versammelten, was sie denn über Roman Bondarenko wussten und ob sie zum Beispiel seinen zweiten Namen kannten. Im Gerichtssaal erinnerte sich Olga daran, dass Grigory, ohne eine Antwort zu erhalten, fragte: „Wie konntet ihr um ihn trauern, wenn ihr nicht mal seinen zweiten Namen kennt?“

„Es hat mich zutiefst beleidigt und wütend gemacht. Ich konnte mich nicht zurückhalten, ich ging hinüber und gab ihm eine Ohrfeige. Es war eine rein symbolische Geste. Eine besondere Abneigung kam in mir auf, als ich seine rhetorische Frage hörte: „Wie konntet ihr trauern, wenn ihr nicht mal die Details der Biografie einer Person kennt“, – sagte die Frau vor Gericht.

Genau zwei Monate nach dem Konflikt, am 15. Januar, unterrichtete Olga eine Schülerin zu Hause, als es an der Tür klingelte. Die Dolmetscherin kam zur Tür und sah, dass das Guckloch von der anderen Seite bedeckt war. Sie vermutete, wer es sein konnte.  Vor der Tür standen zwei Polizeibeamt, die ihre Ausweise zeigten. Sie sagten, dass Olga mit ihnen zur Polizeistation Frunzenskoye gehen müsse, um dort 72 Stunden inhaftiert zu werden. Olga machte sich fertig, nahm eine Zahnbürste und Zahnpaste mit und fuhr los. Sie ahnte schon, dass aus drei Tagen ein paar Wochen werden könnten. Bemerkenswert ist, dass Olga festgenommen wurde, obwohl sie sich um ihre 90-jährige Mutter kümmerte. Per Gesetz darf eine Person in solchen Fällen nicht hinter Gittern gebracht werden. Während die Dolmetscherin in der Untersuchungshaft war, wurde ihre Mutter von ihren Schülern und Freunden betreut.

In der Zelle war Olga mit unterschiedlichsten Unannehmlichkeiten konfrontiert: ständige Zugluft, als Toilette diente nur ein Loch im Zementboden. Später entfernten die Gefängnismitarbeiter sogar die Abschirmung von der Toilette. In den zwei Monaten in der Untersuchungshaft bekam Olga keine Informationen. Sie erhielt nie die unabhängige Zeitung, die sie abonniert hat, nur gelegentlich wurde ihr eine staatliche Zeitung gebracht. Einmal wurden zwei Nachbarzellen vereint. In der anderen Kammer befanden sich obdachlose Frauen, die die ganze Zelle mit Läusen infiziert hatten. Unter Androhung von Hungerstreik sorgten Olga und ihre Nachbarinnen dafür, dass die Gefangenen Mittel gegen Läuse und die Obdachlosen saubere Kleidung erhielten.

Zunächst drohen Olga Kalatskaja bis zu sechs Jahre Haft. Das American PEN Center (PEN America) und die berühmte kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood forderten ihre sofortige Freilassung. [4] Das Opfer Grigory Azarenok sagte jedoch, dass er keine Ansprüche an eine Verhaftung der Übersetzerin habe, weil er sich nicht als beleidigt betrachte. Darüber hinaus schrieb er einen Antrag auf Beendigung der Strafverfolgung gegen die Frau. Die Staatsanwaltschaft bat darum, den Antrag abzulehnen. Das Gericht entschied, Olga zu zwei Jahren Haft auf Bewährung zu verurteilen.[5]

Der Hasser der Opposition und der Ukraine – was wir über Grigory Azarenok wissen

Grigory Azarenok ist 25 Jahre alt. Er ist der Sohn des berühmten „Oppositions-Whistleblower“ Juri Azarenok, der in einem der Dokumentarfilme belarussische Nationalisten mit Kollaborateuren verglich. Interessanterweise wurde Azarenok-Senior bei einem seiner Filme auch ins Gesicht geschlagen, das hatte damals Oppositionspolitiker Nikolai Statkevich getan. Damals musste Nikolai eine Geldstrafe in Höhe von aktuell drei Rubeln zahlen. Übrigens war es Juri Azarenok, der den Zyklus „Secret Springs of Politics“ startete, den er an seinen Sohn weitergegeben hat.

Grigory Azarenok begann seine Karriere als Journalist in der Regionalabteilung des Fernsehens. Er reiste durch das Land, filmte Farmen und Unternehmen, traf Menschen in verschiedenen Teilen von Belarus, kommunizierte mit Vertretern verschiedener Berufe. Bekannt wurde er jedoch, als er sich mit der politischen Agenda befasste.

„Die meisten Veranstaltungen unserer Demonstranten sind ziemlich lustig“, sagte er in einem Interview der staatlichen Zeitung „SB. Belarus heute.“ – „Offensichtlich haben wir es mit Manipulation zu tun, mit Technologien, die die Leute emotional über das Thema Coronavirus aufgeschaukelt und uns auf die Sommerkampagne vorbereitet haben.“[6]

In seinen Sendungen kommuniziert Azarenok frei mit dem Chef der Minsker Bereitschaftspolizei Dmitri Balaba, dem Historiker Vadim Gigin, der sagte, dass der 25. März kein Tag der Freiheit sei. Und er schreckt nicht davor zurück, all jene vom Bildschirm zu beleidigen, die mit Lukaschenkos Politik nicht einverstanden sind. Dazu hatte er die Überschrift „Orden der Judas“ in seinem Abschlussprogramm der Sendung „Die Woche“ verwendet. Und manchmal bezieht sich Azarenok auch auf andere Nachbarländer. Für antiukrainische Propaganda, Amtsmissbrauch, Einmischung in die Angelegenheiten der Ukraine und Verbreitung von Kreml-Propaganda wurde Azarenok sogar in die Liste der „Myrotworez“ (eine inoffizielle Liste mit Daten der Feinde der Ukraine) hinzugefügt.[7]

Am 11. Januar unterzeichnete Lukaschenko ein Dekret über die Vergabe staatlicher Auszeichnungen an die staatlichen Medienmitarbeiter. Unter den Ausgezeichneten war Grigory Azarenok. Er erhielt eine Medaille „Für besonderen Mut“. Nach dem Gesetz für staatliche Auszeichnungen wird eine solche Medaille in der Regel an Soldaten, Sicherheitsbeamte, Mitarbeiter des Ministeriums für Notsituationen und Bürger vergeben, die Mut und Tapferkeit bei der Erfüllung ihrer Militärpflichten oder beim Schutz der Interessen des Landes während eines Krieges gezeigt haben.[8]

Im Folgenden sind einige der auffälligsten Zitate des Fernsehmitarbeiters festgehalten:

  1. „Aber als das größte Ekel kann man auf jeden Fall Alexandra Gerasimenja bezeichnen. Du hast nicht den Präsidenten verraten, du hast deine Uniform, deine Medaillen, deine Mentoren und deine Trainer verraten, du hast die Leute verraten, die dich unterstützt haben, du hast die Flagge verraten, die du auf deinen Schultern getragen hast. Du hast sogar deinen Mann und dein Kind verraten, sie hier gelassen um dein Geld zu jagen. Du bist so hinabgekommen!“ (über die dreimalige Olympiasiegerin Alexandra Gerasimenja).
  2. „Ivan Bunin hatte wirklich Recht: „Eines der markantesten Merkmale der Revolutionen ist der rasende Durst nach Spiel, Schauspiel, Posen, Balagan. Ein Affe wacht in einem Menschen auf.“ Aber wir werden diesen Affen zurück treiben mit einem schönen Lied, und mit speziellen Mitteln des Innenministeriums (bezüglich der Solidaritätsaktionen derr Nationaloper- und Balletttheater von Belarus).[9]
  3. „Es scheint mir kein Zufall, dass Swetlana Tichanowskaja der berühmten Psychopathin Rosalia Zemlyachka so ähnlich sieht. Sie versprach den Offizieren der Weißen Garde Sicherheit für die Niederlegung ihrer Waffen. Und dann lud sie sie in eine Fähre und befahl, sie zu überfluten. Und sie sang in diesem Moment freudig.“[10]
  4. „Glauben Sie, dass Sie einen neuen Präsidenten gewählt haben? Nein, Ihnen wurde ein neuer Gauleiter zugewiesen. Ein Komiker und Narr, ein krummer Clown, der kein einziges Versprechen erfüllt hat, der die Ukraine weiter in den Abgrund führt, der bereit ist, es an jeden zu verkaufen – sowohl der Türkei als auch Großbritannien“ (über den neuen Präsident der Ukraine).[11]
  5. „Sie verkauften das ganze Land: Land, Fabriken, Häfen. Sie haben aus einem blühenden Land ein Piraten-Lager gemacht. Eure Kinder werden im kommerziellen Maßstab für Organspenden verkauft, und die Mädchen werden quasi offiziell an europäische Bordelle geliefert. „[12]
  6. „Ich frage mich: die Erben von Hugo, Dante, Balzac und so weiter und so fort – schämen sie sich nicht, unter den Verteidigungsministerinnen zu leben, die Gynäkologinnen sind? Unter dieser ganzen LGBT-Geschichte? Unter dieser ganzen globalistischen Struktur? Sie blicken wahrscheinlich neidisch auf einen starken Führer, auf wunderschöne Männer in Uniform, auf einen gesunden Staat.“[13]
  7. „Die bösen Herzen von Leuten wie Bernard-Henri Levy sind eifrig dabei, unser Land zu zerstören. Aber für jeden Aasfresser wird es einen stolzen Adler geben.“[14]
  8. „Sie haben sich noch nicht wirklich mit der belarussischen Polizei auseinandergesetzt. Wasserwerfer werden Ihnen wie ein Brunnen erscheinen. Es ist besser für euch, euch mit Toilettenpapier umzuwickeln und wegzulaufen“ (gerichtet an die Demonstranten).[15]
  9. „Sie ist eine alte Opportunistin, eine armselige, bösartige Plagiatorin Alexijewitsch. Ihr seid ambitionierte Schriftsteller, die gierig nach Stipendien, Reisen, Leckereien, Sykophanz und Aufmerksamkeit sind. Ihr habt nichts Eigenes als einen Laden mit billigen und geschmacklosen Souvenirs.“  [16]
  10. „Es ist lustig, wenn der arrogante Versager Polen beginnt, uns das Leben beizubringen. Es verlor seine eigene Staatlichkeit wegen der Dummheit, des Hochmutes und des „demokratischen“ Denkens der Elite. Lehrt uns nicht zu leben, ihr Verlierer.“[17]
  11. „Als Teil der humanitären Hilfe, denke ich, können wir mit Toilettenpapier helfen, das eigene scheint ihr für die lächerliche Resolutionen des Seimas verbraucht zu haben“ (als Antwort auf eine Bemerkung des litauischen Verteidigungsministers Raimundas Karoblis).[18]
  12. „Ihr alle werdet bei der Polizei sitzen und vor der Kamera weinen, erzählen, dass ihr nichts verstanden, nichts gedacht, nicht gewusst habt. Eure Gesichter und eure Personalien sind bekannt. Wenn sie heute nicht zu euch kommen, kommen sie morgen. Sie kommen auf jeden Fall. Wartet auf den Besuch“ (gerichtet and die Demonstranten).  [19]

[1] https://nina.nn.by/?c=lr&i=270431&lang=ru

[2] https://reform.by/194563-zaderzhana-perevodchica-olga-kalackaja

[3] https://nn.by/?c=ar&i=266774&lang=ru

[4] https://telegraf.by/obshhestvo/izbila-azarenka-perevodchice-grozit-6-let-tjurmy-za-to-chto-ona-nanesla-neskolko-udarov-sotrudniku-stv/

[5] https://news.tut.by/society/723690.html

[6] https://www.sb.by/articles/televidenie-bez-falshi.html

[7] https://novyny.24tv.ua/ru/belorusskom-tv-ukraincov-nazvali-nishhenskim-novosti-belarus_n1567459

[8] https://42.tut.by/714478

[9] http://www.ctv.by/novosti-minska-i-minskoy-oblasti/pomogite-ne-dat-raskolot-kollektiv-chto-proishodit-v-bolshom-teatre

[10] http://www.ctv.by/novosti-minska-i-minskoy-oblasti/grigoriy-azaryonok-ulica-proigrala-protestuyushchih-ochevidno-malo

[11] https://reform.by/208320-na-stv-prezidenta-ukrainy-nazvali-gauljaterom-komikom-i-shutom

[12] https://nn.by/?c=ar&i=269754&lang=ru

[13] http://www.ctv.by/vliyanie-polshi-evropeyskie-konglomeraty-i-stihiynoe-vozniknovenie-belorusofilov-mnenie-politologa

[14] http://www.ctv.by/novosti-minska-i-minskoy-oblasti/grigoriy-azaryonok-oni-hotyat-vvergnut-belarus-v-puchinu

[15] http://www.ctv.by/novosti-minska-i-minskoy-oblasti/grigoriy-azaryonok-esli-do-vyhodnyh-kto-eshchyo-veril-v-mirnye

[16] http://www.ctv.by/taynye-pruzhiny-politiki-2020-mnenie-grigoriya-azaryonka-o-belorusskoy-kulture

[17] http://www.ctv.by/grigoriy-azaryonok-v-etom-mire-my-obladaem-ochen-bolshoy-privilegiey-my-ne-podchinyaemsya-globalnomu

[18] http://www.ctv.by/uchenie-slavyanskoe-bratstvo-pochemu-nuzhno-usilivat-oboronu-i-umet-zashchishchatsya-mnenie

[19] http://www.ctv.by/grigoriy-azaryonok-vy-realno-dumaete-chto-ne-naydut-vseh-naydut-vseh-kto-hot-palec-na-milicionera

Your email address will not be published. Required fields are marked *

*