Während der seit 8 Monaten andauernden Proteste wurden in Belarus 30 000 Menschen in Untersuchungshaft oder in temporären Haftanstalten festgehalten. Am 31. März trat eine Resolution in Kraft, in welcher die Regeln für die Ernährung und die Versorgung der Inhaftierten mit Hygieneartikeln festgelegt sind. Viele dieser Zahlen sind schockierend oder zumindest überraschend.
In Belarus stehen Inhaftierten pro Tag 90g Fleisch, 55g Fisch mit Kopf (Frauen 60 Gramm), 25g Geflügel, 230g Wurzelgemüse (Zwiebeln, Karotten, Rüben), 20 Gramm frisches Gemüse (Gurken, Tomaten, Kräuter) und 200g Getreide zu. Pro Woche können Männer in Haft 4 Hühnereier anfordern, Frauen 3. Obst, Nüsse, Hülsenfrüchte oder Milchprodukte sind im Speiseplan dagegen nicht vorgesehen. Etwas mehr kommt noch den Häftlingen unter 18 Jahren zu, welche zusätzlich 10g Zucker, 30g Butter, 40g Quark, 125 ml Milch, 50g Fleisch und 5 Hühnereier pro Woche bekommen können. Zusatzstoffe gibt es noch für Inhaftierte mit körperlichen Beeinträchtigungen, Schwangere, HIV-Infizierte, Diabetiker und stillende Mütter.
Zum Vergleich: In der Ukraine, welches für die Propagandisten des staatlichen Fernsehens so abschreckend ist, sind die fällt die Ausgabe von Fleisch, Fisch und frischem Gemüse für die Häftlinge höher aus. Gerade Fisch essen ukrainische Gefangene pro Kopf doppelt, frisches Gemüse dreimal so viel.
Die Regeln für Hygieneartikel sind in der Resolution als gesonderter Punkt festgelegt. Männern stehen pro Monat 4 Rasiermesser zu, 200g Waschseife, 25 Meter Toilettenpapier und 50g Toilettenseife. Frauen werden 200g Waschseife und 100g Toilettenseife ausgegeben, 25 Meter Toilettenpapier und 10 Damenbinden.[1] Dabei empfehlen Gynäkologen, in den ersten Menstruationstagen alle 3-4 Stunden die Binden zu wechseln. Somit reichen 10 Damenbinden für 2 Tage.
Sicherlich, das Notwendige kann man auch per Post von Familie und Freunden außerhalb des Gefängnisses erhalten. Doch auch hier tun sich Fragen auf: Am 08. April wurde bekannt, dass im Gefängnis in der Okhrestina Straße Gefangenen ihre Paketet erst nach der Freilassung übergeben werden.[2] Und wenn sie diese doch in der Zelle erhalten, dann nicht vollständig. Mehrere Inhaftierte vermissten Zigaretten und Süßigkeiten, obwohl sie in der Liste der übergebenen Gegenstände verzeichnet waren. Im Winter wurden Postsendungen außerdem „im Zusammenhang mit der COVID-19 Pandemie“ überhaupt nicht empfangen. Die Frauen, die im Januar und Februar in der Okhrestina inhaftiert waren, mussten die Wärter um Toilettenpapier und Hygieneartikel bitten. Von Freunden und Verwandten kamen weder Zahnbürsten und Zahnpasta, noch Unterwäsche an. Wie kamen die Gefangenen dann zurecht?
„Ich hatte das Glück, Zahnpasta bei mir zu haben. Ich habe mir die Zähne mit der Bürste geputzt, andere mit dem Daumen. Am Sonntag tauchte in der Zelle dann noch eine Zahnbürste und Zahnpasta auf, und manche meiner Zellengenossinen putzten sich damit nacheinander die Zähne und wuschen sie zwischendurch mit Babyseife aus. Eine weitere Kostbarkeit im Gefängnis waren zusätzliche Unterhosen, die ich auch bei mir hatte. Dadurch konnte ich meine Wäsche wechseln und waschen. Andere Frauen hatten diese Möglichkeit nicht. Als ich erfuhr, dass ich am nächsten Tag entlassen werden würde, habe ich den anderen meine Unterwäsche überlassen“ erzählte Nadeshda Kalinina den Journalisten von tut.by nach ihrem Aufenthalt in einer vorübergehenden Haftanstalt.[3]
Shampoo wurde den Gefangenen übrigens auch nicht zur Verfügung gestellt, daher mussten sie auch den Kopf mit normaler Seife waschen. Anstelle einer Dusche gab es nur Feuchttücher welche im Anschluss gewaschen und wieder verwendet wurden. Binden wurden pro Tag eine pro Person ausgegeben, daher gaben die Frauen an, die ganze Zelle habe ihre Periode, um Binden für diejenige zu sammeln, die sie tatsächlich brauchte. Die Wärter weigerten sich, den Gefangenen Ersatz-Unterwäsche zu geben, daher mussten sie sie nachts waschen und die Jeans auf dem nackten Körper tragen.
Dies waren natürlich längst nicht alle Methoden der Umerziehung für diejenigen, die in den vorübergehenden Haftanstalten inhaftiert waren. Viele Gefangene beklagten auch einen Mangel an Matratzen und Bettwäsche, also mussten sie in Jacken auf den Metallpritschen schlafen oder im Sitzen, zumal die Zellen häufig überfüllt waren.
„Am 01. April begannen plötzlich die Wachen, die Matratzen der Gefangenen einzusammeln“ erzählte eine der Verurteilten. „Den Wärtern zufolge hatte das mit jemandem zu tun, der am Tag zuvor entlassen worden war. Er hatte in den sozialen Netzwerken die Wahrheit über seinen Aufenthalt in der Okhrestina geschrieben. Während sie die Matratzen einsammelten, sagte einer: `Ich weiß selbst nicht mehr. Die Leitung hat uns angerufen´“.[4]
Nachts erwachten die Insassen vor Kälte und machten Gymnastik, um sich irgendwie aufzuwärmen. Dabei erlaubte ihnen die Leitung der Haftanstalt oft nicht, zu schlafen: Sie öffnen das Fenster, durch das sonst Essen gebracht wird, rufen einige Namen und die Gefangenen müssen antworten. Es kommt auch vor, dass die Wärter mitten in der Nacht einen Appell und eine Durchsuchung durchführen und alles beschlagnahmen: von Trockenfrüchten und Nüssen bis hin zu Büchern und Kreuzworträtseln. Außerdem wurden zusammen mit „Politischen Gefangenen“ auch Menschen ohne festen Wohnort untergebracht, die Läuse und eine ganze Reihe von Krankheiten hatten. Diese „Gäste“ gaben später zu: Die Leitung der Haftanstalten hatte aufgetragen, es den „Politischen Gefangene“ so schwer wie möglich zu machen im Austausch gegen verbesserte Haftbedingungen. Einige von denen, die in Folterkammern landeten, wurden geschlagen – wie im August, als große Proteste die Republik erfassten.
„Bei der morgendlichen Kontrolle, als die Männer auf den Flur hinausgeführt wurden, hörten wir dumpfe Schläge. Dann hörten wir, wie die Mitarbeiter in der Männerzelle offensichtlich versuchten, den Schuldigen an irgendeinem Verstoß zu finden. Einer der Männer antwortete, und sie schlugen ihn, es waren viele Schläge, so, als kämen sie von mehreren Menschen. Wir hörten ihn röcheln. Dann schrien sie ihm zu: `Aufstehen!´, aber das konnte er schon gar nicht mehr. Wir waren alle in Panik. Denn so ein Keuchen ist kaum falsch zu verstehen“ erzählte Irina, eine von denen, die die Okhrestina durchlebt hatte.
Doch das Grausamste, dass die Gefangenen in der Zelle erlebt haben, war Folter mit Bleichmittel. Nikolay Kozlov,Vorsitzender der vereinigten Bürgerpartei, verbrachte 15 Tage in der Isolierstation. Plötzlich wurden alle aus der Zelle geführt. Dann kippten sie zwei Eimer hoch konzentrierten Bleichmittels auf den Boden. Nach einer halben Minute begannen allen die Augen zu tränen, Tränen flossen, Würgereflexe traten auf, Leute wurde blau und rot. Der Politiker wurde deswegen ins Krankenhaus gebracht.[5] Eine Beschwerde über die schrecklichen Zustände in der Zelle zu schreiben, war übrigens nicht möglich: den Gefangenen wurden weder Stifte noch Papier gegeben, und auf mündliche Hinweise und Bitten wurde nicht reagiert.
Der Vorsitzende der Belarussischen Sozialdemokratischen Partei Igor Borisov erinnerte sich nach seiner 15tägigen Haft:
„Nach der morgendlichen Durchsuchung kamen sie in die Zelle, verstreuten die Sachen überall, nahmen einen Eimer Bleichmittel, gossen ihn auf den Boden und gingen sofort wieder. Ein Mann, der schon lange einsaß, sagte, dass das jeden Tag passiert. Man sollte sofort anfangen, durch ein Tuch oder T-Shirt zu atmen. Dann saßen alle mit Kopfschmerzen da, die einfach unerträglich waren. Und dann wischt man dieses stinkende Wasser mit einem Lappen auf, und wenn es keinen Lappen gibt, zieht man sein Hemd oder seine Unterhose aus und macht es damit“.
Solche „Gas-Attacken“ wurden auch auf die Frauen unternommen. Davon erzählte die Künstlerin Lisa Goncharova, die auch in der Okhrestina einsaß:
„Sie schlossen das Fenster, durch das Essen gereicht wird, schlossen allen Sauerstoff aus und verkippten einfach Bleichmittel. Wir haben das eingeatmet, bei uns allen haben sich davon die Schleimhäute entzündet. Das machten sie regelmäßig einmal alle zwei Tage.“
Wir möchten hervorheben, dass mit solchen Maßnahmen nicht grausame Verrückte und Mörder, Räuber und Vergewaltiger begegnet wird, sondern denjenigen, die sich gegen Folter seitens des Regimes ausgesprochen haben, denjenigen, die einfach nur faire Wahlen und einen Wandel im Land wollten. Diejenigen, die Gewalt gegen die unrechtmäßig Verurteilten anwenden, werden sich im neuen Belarus gegenüber dem Gesetz verantworten müssen. Wir werden es nicht länger zulassen, dass Belarussen diese Folter ertragen und diesen Schrecken erleben müssen.
[1]https://news.tut.by/society/724427.html
[2]https://svabod1.azureedge.net/a/31193056.html
[3]https://news.tut.by/society/717504.html
[4]https://news.tut.by/society/725621.html
[5]https://www.currenttime.tv/a/belarus-zhodino-okrestina/31202055.html