Vor fünfunddreißig Jahren ereignete sich der tragische Unfall im AKW Tschernobyl. Infolgedessen litten 55 Regionen Belarus unter der Strahlung. Dreiundzwanzig Prozent von Belarus waren mit Cäsium-137 kontaminiert, die Höchstwerte wurden in den Bragin und Tscherikow gemessen. Viele Menschen wurden umgesiedelt und viele weitere litten an den strahlenbedingten Krankheiten. Gerade deshalb wurde die Idee des Baus eines AKWs in Belarus von der Bevölkerung von Anfang an negativ aufgenommen. Und „Unser Haus“ begann seinen Kampf.

Lasst uns die Tragödie von Tschernobyl noch einmal in Erinnerung rufen. Als die ahnungslose Bürger in ihren Häusern schliefen, explodierte am 26. April 1986 um 01:23 Uhr der vierte Block des Atomkraftwerks Tschernobyl. Es wurde mehr als 300-mal mehr Strahlung in die Umwelt freigesetzt als beim Bombenangriff auf Hiroshima. Mehr als 70 Prozent der Radionuklide lagerten sich auf dem Gebiet von Belarus ab.

Die sowjetische Regierung beschloss über die Katastrophe und die Gefahr der Strahlung zu schweigen. Die Menschen aus Pripjat gingen noch einige Tage friedlich spazieren während Feuerwehrleute ohne Schutzanzüge an der Löschung des Kraftwerksblocks arbeiteten, so dass sie später unter schrecklichen Qualen an der Strahlenkrankheit starben. Am 1. Mai fanden im ganzen Land Freiluftdemonstrationen statt. Erst später erfuhren die Menschen von der Katastrophe und die Evakuierung der Bewohner aus den betroffenen Gebieten begann. Anstatt die Menschen mit einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung zu versorgen, verbreitete die Sowjetunion Mythen über den Nutzen von Milch im Falle von Strahlung, was den Zustand der Kranken nur noch verschlimmerte.

In den vergangenen Jahren hat „Unser Haus“ immer wieder Themen rund um die Katastrophe behandelt. Aktivisten reisten in die von Tschernobyl betroffenen Gebiete, berichteten, wie das Leben dort ist und  kämpften für die Rechte der Menschen, deren Leben von dem Unfall betroffen war. Schließlich war es der Menschenrechtsaktivist Valery Shchukin, der den “Tschernobyl Shliah” (den Tschernobyl- Pfad) ins Leben ruftet.

Im Jahr 2011 lief das Projekt „Dom-show“ auf dem YouTube-Kanal „Unser Haus TV“. In der zweiten Episode trafen der überzeugte Gegner des Neu-AKW-Baus, Nikolai Ulasevitsch und der Menschenrechtsaktivist Nikolai Petruschenko,  ein überzeugter Befürworter des AKW-Baus, aufeinander. Nikolai Ulasevitch war der Meinung, dass der Bau der Anlage weder ökologische noch ökonomische Vorteile mit sich bringt. Nikolai Petrushenko erinnerte trotz Meinungsverschiedenheit an äußerst fragwürdige Aussagen der Regierung über hochangereichertes Uran für den Waffengebrauch.

Im Jahr 2012 gingen Aktivisten der Kampagne „Abgeordnete- zur Antwort!“ zusammen mit Vertretern der “Union von Tschernobyl – Belarus“ durch den Zhodino-Markt und suchten nach Produkten, die mit Radionukliden kontaminiert waren.
Im Jahr 2013 fand ein Treffen zwischen Olga Karach, Leiterin der Bürgerkampagne „Unser Haus“ und Alexander Volchanin, Vorsitzender der öffentlichen Vereinigung “Union von Tschernobyl – Belarus“, statt. Die Initiativen einigten sich auf eine Zusammenarbeit. Der Leiter der „Union Tschernobyl – Belarus“ sagte, dass diese Interaktion ein Beispiel für andere Oppositionsorganisationen werden könnte.

Im selben Jahr organisierten die belarussische Organisation „Assoziation für Modernisierung in Tschechien“ und die Bürgerkampagne „Unser Haus“ die Ausstellung „Tschernobyl-Tragödie“ in Prag. Die Fotografien der Ausstellung schufen eine Atmosphäre, in der jeder Betrachter die Gefühle der Menschen, die die Tragödie überlebt haben, zumindest ein wenig nachvollziehen konnte. Die Ausstellung demonstrierte den kulturellen Aspekt, und vor allen Dingen den Aspekt des ewigen Gedächtnisses, um solche Fehler in Zukunft nicht zu wiederholen.

In 2017 besuchten die Aktivisten von “Unser Haus” ein Wohnheim in der Rokossovskiy-Straße in Slavgorod, das Teil der Tschernobyl-Zone wurde. Die Mieter zahlten recht hohe Preise für die Nebenkosten und inzwischen war das Gebäude stark reparaturbedürftig und der Zustand ließ zu wünschen übrig. Zum Beispiel gab es nur ein Badezimmer mit nur kaltem Wasser, die Tapeten fielen ab, es roch nach Feuchtigkeit und Schimmel. Die Aktivistin Angelika Kalatozishvili, eine Behinderte der Gruppe 1, Rollstuhlfahrerin, wohnte in einem der Zimmer. Im Jahr 2018, nur ein paar Monate nach dem Besuch der Aktivisten, wurde mit der Renovierung des Wohnheims begonnen.

Nach so viel Not und Zerstörung durch Tschernobyl war es wichtig eine Wiederholung dieser Ereignisse zu verhindern. Aus diesem Grund ist „Unser Haus“ seit 2012-2013 gegen den Bau des Bel.AKW. Im Jahr 2017 sprachen sich Aktivisten bei der Parlamentarischen Versammlung der OSZE gegen das Verschweigen von Problemen in der Anlage aus. Im Jahr 2019 nahmen sie an einem Treffen teil um den Umweltbericht zur Strategischen Umweltprüfung des Entwurfs der Strategie für die Entsorgung abgebrannter Kernbrennstoffe zu diskutieren. Im Jahr 2020, kurz vor der geplanten Inbetriebnahme des Bel.AKW, erschien eine Beschreibung der „STOP AKW“-Kampagne auf der Website „Unser Haus“. Die Aktivisten haben sich zum Ziel gesetzt die Geschichte von Tschernobyl nicht zu wiederholen und eine neue Tragödie zu verhindern. „Unser Haus“ beleuchtete eine Reihe von Problemen in Atomkraftwerken in den Bereichen Sicherheit, Ökonomie, Ökologie, Menschenrechte, nationale Sicherheit und internationale Organisationen.

So wiesen die Aktivisten darauf hin, dass es im Bel.AKW nicht nur an Strategien, sondern auch an sicheren Lösungen für die Entsorgung der abgebrannten Brennelemente fehlt, es gibt keinen Standort für die trockene Lagerung der abgebrannten Brennelemente, während es kein Abkommen zwischen Belarus und Russland über deren Wiederaufbereitung gibt. Darüber hinaus wurden nach der europäischen Verifizierung und der öffentlichen Prüfung des AKW-Stresstests Sicherheitsprobleme festgestellt, darunter die nicht nachgewiesene seismische Stabilität der Ausrüstung und die Funktionalität der passiven und aktiven Sicherheitssysteme des Kraftwerks. Die Reaktoranlage war in der Praxis nicht ausreichend erprobt, die Auslegung des AKW entsprach nicht den modernen Sicherheitsansätzen und Empfehlungen der IAEA und WENRA. Während des Baus der Anlage kam es zu einer Reihe von Unfällen, die auch die Betriebssicherheit beeinträchtigten.

Im Bereich der Ökonomie wurde festgestellt, dass es keine öffentlichen und aktuellen Daten über die wirtschaftliche Durchführbarkeit des AKW Ostrovets gibt, keine Nachfrage nach zusätzlicher Stromerzeugung, keine großen industriellen Verbraucher der Kraftwerksenergie, unzureichende Höhe der Reservekapazitäten, Irrationalität des Baus. Es ist klar, dass das Belarussische AKW einen negativen Einfluss auf die Entwicklung nachhaltiger Energie und Energieeinsparung hat und zugleich erhöht es auch die Auslandsverschuldung von Belarus.

Das AKW Ostrovets wirkt sich nach Recherchen von „Unser Haus“ sich negativ auf das Mikroklima und die Erhaltung des kulturellen Erbes, besonders geschützter Naturgebiete und der auf der Roten Liste stehenden Tiere aus. Das Bel. AKW nutzt auf fragwürdige Art und Weise das Wasser des Flusses Vilija und schafft sinnlose Risiken zu Zeiten des globalen Klimawandels. Die Freisetzung von Strahlung aus dem AKW erhöht die Strahlenbelastung für die Natur und die Menschen, die bereits durch den Tschernobyl-Unfall betroffen waren.

Der Bau des AKW erhöht auch die multifaktorielle Abhängigkeit von Belarus und der Russischen Föderation und wirkt sich auf die „tiefere Integration“ mit Russland aus. Es ist eine Quelle für grenzüberschreitende Streitigkeiten mit Nachbarländern (z.B. Litauen) und eine Quelle für Verstöße gegen die Regeln internationaler Organisationen, einschließlich der UN und der Menschenrechte.

Wir sind der Meinung, dass der Start des Atomkraftwerks unannehmbare Risiken für die Menschen und die Natur in Belarus, die betroffenen Nachbarländer sowie für die wirtschaftliche und finanzielle Nachhaltigkeit von Belarus birgt. Es bedroht die nationale Unabhängigkeit, die Souveränität des Landes. Wir appellieren an die entscheidungsbefugten Behörden und Organisationen sowie an die Bürger von Belarus den Start des Bel.AKW zu verschieben, bis alle Probleme gelöst sind. Sie sollen über die Zweckmäßigkeit der Fortsetzung des Baus von Kernkraftwerken in Belarus beraten, um eine Strategie für eine nachhaltige nichtnukleare Entwicklung in Belarus zu entwickeln und mit der Öffentlichkeit zu diskutieren. Wir fügen hinzu, dass das russische AKW auf Belarussischem Gebiert zu einem Instrument der Kriegsführung werden kann.

Nach den neuesten Daten wurde der Start des Bel.AKW auf 2022 verschoben. Das bedeutet, dass wir Zeit haben hohe Kosten für den Umgang mit jahrtausendealten gefährlichen abgebrannten Brennelementen und unannehmbare ökologische Risiken zu vermeiden. Schließlich ist es für die Behörden jetzt viel wichtiger groß angelegte Proteste zu stoppen und die Polizei mit Gehältern zu versorgen, als sich um die Sicherheit von Belarus und den Nachbarländern zu kümmern.

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