Vor einem Jahr, am 29. Mai 2020, wurde Sergei Tichanowskij zur Geisel Lukaschenkos. Seitdem konnte er nicht mehr mit seiner Familie zusammenkommen oder durch die Straßen von Belarus gehen. Er verbrachte seinen Geburtstag ebenso wie das Neujahrsfest hinter Gittern, zu unabhängigen Informationsquellen hat er keinen Zugang. Trotz alledem sind von ihm keine Klagen zu hören und er sieht der Zukunft mit Optimismus entgegen. „Wenn das Volk, die Menschen, standhaft bleiben, wird all das nicht mehr lange dauern“ – sagte er in einem Interview, das er im Gefängnis gab. Die Menschen drückten weltweit in vielen Städten ihre Unterstützung für ihn aus.

Eine groß angelegte Veranstaltung fand an diesem Tag in Vilnius auf dem Lukishskaya-Platz statt. An diesen nahmen auch Swetlana Tichanowskaja, Margarita Levchuk, Ekaterina Snytina, Natalia Kolegowa sowie Vertreter der belarussischen Diaspora und von Belarussen teil, die vor den Repressionen nach Vilnius geflohen sind. Auf dieser Veranstaltung trat auch Olga Karatsch auf. Sie erklärte, dass die belarussische Revolution nicht erst im Jahr 2020 begonnen habe, sondern schon früher.

– Viele mutige Menschen waren nach den Parlamentswahlen 2019 hoffnungslos. Sie wussten, dass ihr Sieg ihnen gestohlen und die Resultate gefälscht werden würden. Und doch gingen sie heraus, obwohl sie wussten, dass sie auf diese Art zum Opfer von Repressionen werden konnten. Unsere Revolution begann auf der Beerdigung von Kastus Kalinowskij. Wir erinnern uns noch gut an das Meer aus weiß-rot-weißen Flaggen. Unsere Revolution begann mit den massenhaften Protestaktionen gegen die Integration von Russland und Belarus, und gerade Litauen spielte eine wichtige Rolle dabei, die Beteiligten vor der Verfolgung zu schützen. Es war ein Kampf ohne Hoffnung, und doch standen wir auf und kämpften. Sergei Tichanowskij sitzt nun ein Jahr im Gefängnis. Noch viel mehr als ein Jahr steht all jenen Bloggern und Menschenrechtsaktivisten bevor, die zu völlig wahnsinnigen Strafen verurteilt wurden. Wir erinnern uns in Trauer und klagen die Bestien an, die Vitold Ashurok folterten, der Recherchen zum Aufstand von Kastus Kalinowskij anstellte. Meiner Meinung nach sollte es in Vilnius unbedingt eine Straße geben, die nach ihm benannt wird. Ungeachtet der Folter, der Granaten, der Gewehre, Schlagstöcke und Drohungen hat das belarussische Volk nicht nachgegeben. Unser Kampf dauert nun schon ein Jahr lang an. Danke an das belarussische Volk dafür, dass ihr die Hoffnung zurückgebracht habt! Danke an alle politischen Gefangenen! Freiheit für Belarus! Es lebe Belarus!

Aktionen zur Unterstützung Sergei Tichanowskijs fanden auch in anderen Städten statt. In Tallinn haben Vertreter der belarussischen Diaspora Aufkleber mit den Namen unterdrückter Weißrussen an einem alten Lastwagen in der Harju-Straße angebracht. Teilnehmer eines Solidaritätsstreiks in Riga kamen mit weiß-rot-weiße Fahnen und Porträts von Menschen, die von Lukaschenkos Regime getötet wurden. In Schweden wurde Sergei Tichanowskij durch das Hissen einer weiß-rot-weißen Flagge in der Stockholmer Gemeinde Nakka unterstützt. Die Außenministerin des Nachbarlandes Norwegen Ine Eriksen drückte ebenfalls ihre Solidarität mit den Belarussen aus. In einer Erklärung sagte sie, dass Norwegen die Tapferkeit und Beharrlichkeit der friedlichen Demonstranten in Belarus bewundert und sie unterstützt.

In Warschau wurde auf einem Platz in der Altstadt protestiert. Dmitrij und Natalia Protasewitsch, die Eltern des verhafteten Journalisten Roman Protasewitsch, wendeten sich an die Menge. In ihrer Erklärung sagte Natalia Protasewitsch: „Ich hoffe, die Medien weltweit strahlen das hier aus und hoffentlich hören auch der Bürger Lukaschenko, die ihm unterstehende Regierung und die Sicherheitskräfte meine Worte. Wofür muss unser Volk so leiden? Ich denke, nur weil sie es gewagt haben, am 9. August die richtige Wahl zu treffen, die dem Bürger Lukaschenko nicht gefallen hat.“

In Belarus wurde am Jahrestag der Inhaftierung von Sergei Tichanowskij die politische Gefangene Natalia Raentowa freigelassen. Sie verbrachte 8 Monate in einem Arbeitslager, weil sie während der Auflösung eines Frauenmarsches am 29. August einen Sicherheitsbeamten im öffentlichen Verkehr gebissen hatte. In vielen Städten des Landen fanden auch Flashmobs statt. In Witebsk nahmen Demonstranten ein Video auf, in dem sie erklärten, dass es für jede Kakerlake einen Pantoffel gibt. In Schlobin, Mozyr, Borovliany gingen die Menschen mit Flaggen auf die Straßen. In Schlobin wurde Sergei Tichanowskij mit Kastus Kalinowskij verglichen. Minsker aus den Bezirken Süd-West und Chizhovka schmückten die Bäume mit weiß-rot-weißen Fahnen und Bändern.

Der illegitime Präsident versucht nun schon seit 9 Monaten, die Belarussen zum Schweigen zu bringen und in Angst zu versetzen. Aber alles, was er tut, nötigt uns bloß dazu, neue und kreative Methoden des Kampfes zu finden. Das internationale Zentrum gesellschaftlicher Initiativen „Nash Dom“ ist überzeugt: Bis zur Befreiung Sergei Tichanowskijs wird es nicht mehr lange dauern. Wir möchten ihn unbedingt in Freiheit herumlaufen sehen und ihm auch persönlich wieder dafür danken, dass er mit seinen Videos die Belarusen aufgeweckt hat.

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