Nach den Wahlen im August 2020 hat die Meinungsfreiheit nun praktische komplett ihr Ende gefunden. Die Zahl der politischen Gefangenen aus den Reihen der Medienschaffenden wächst rasant, Redaktionen unabhängiger Zeitungen und Portale müssen schließen und viele Journalisten, die kritisch über die Regierung berichtet hatten, mussten fliehen. Es ist faktisch unmöglich, öffentlich Kritik an irgendwelchen Handlungen des Staates zu üben, ohne im Gefängnis zu landen.

Momentan gelten 15 belarussische Blogger als politische Gefangene. Einige von ihnen sind schon vor den Wahlen verhaftet worden und sind nun schon ein Jahr oder länger im Gefängnis. Andere sprachen sich nach dem „Sieg“ Lukaschenkas gegen die illegitime Regierung aus. Dieser Artikel ist all denen gewidmet, die die Regierung versucht, mundtot zu machen, weil sie Stellung bezogen haben und ihnen die Vorgänge in ihrem Land nicht einfach egal sind.

Wladimir Neronskij aus Slutsk moderierte den YouTube-Kanal „Slutsk for Life“ und betonte mehrfach, dass er seine Stadt liebt und sie deswegen besser machen möchte. 2018 wurde er für den Abgeordnetenrat der Region Minsk nominiert. Am 7. Mai 2020 wurde er festgenommen, da er am 5. Mai an einem Treffen mit Sergei Tichanowskij in Mogilew teilgenommen hatte. Er befindet sich seit dem 8. Mai 2020 in Haft, am 17. Juni 2020 wurde gegen ihn ein Strafverfahren nach §§ 342 StGB (Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die grob gegen die öffentliche Ordnung verstoßen) und 369 des Strafgesetzbuches eingeleitet (Beleidigung eines Regierungsbeamten). Am 2. Februar 2021 wurde der Blogger zu 3 Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Der Gründer des YouTube-Kanals „Country for Life“ Sergei Tichanowskij wurde am 29. Mai 2020 während einer Mahnwache festgenommen, als er Unterschriften für die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja in Grodno sammelte. Am 8. Juni 2020 wurde er nach § 342 StGB, später nach § 191 StGB (Behinderung von Wahlen, Behinderung der Arbeit der ZEK, unter anderem mittels Drohungen) angeklagt.

Am 9. Juni 2020 wurde der Blogger Wladimir Ziganowitsch, der Mann hinter dem YouTube-Kanal MozgON, festgenommen. Er wurde bereits im März 2020 zu einer 15tägigen Haftstrafe verurteilt für eine Aktion, die am 25. Februar vor dem Büro des  Belneftechim-Konzerns stattfand. Am 24. Februar 2021 wurde er wegen der Vorbereitung der Teilnahme an Massenunruhen angeklagt (Artikel 13, Teil 2, Artikel 293 StGB). Am 5. Mai 2021 wurde der Fall Wladimir Ziganowitsch vor Gericht gebracht.

Am 10. Juni 2020 wurde der Blogger Dmitrij Koslow, der Autor des YouTube-Kanals „Graue Katze“, festgenommen. Er wurde im Rahmen des Falles „Europäisches Belarus“ festgehalten. Am 30. Juni 2020 wurde Dmitrij Koslow gemäß Artikel 342 des ersten Teils des Strafgesetzbuchs angeklagt. Im Dezember 2020 wurde gegen den Blogger eine neue Anklage erhoben – nach Artikel 293 Teil 2 des Strafgesetzbuches. Am 25. Mai 2021 fand in Mogilew ein Prozess gegen die Aktivisten von „Europäisches Belarus“ statt. Dmitrij Koslow wurde zu 5 Jahren Gefängnis in einem Hochsicherheitsgefängnis verurteilt.

Am 15. Juni 2020 wurde der Blogger Alexander Kabanow aus Brest, Autor des YouTube-Kanals „People‘s Reporter“ und Pressesprecher der Initiativgruppe von Swetlana Tichanowskaja, festgenommen. Am 5. Juni fand im Haus von Kabanows Eltern in der Nähe von Bereza eine Hausdurchsuchung statt. Alexander Kabanow wurde gemäß Artikel 342 Teil 1 und Artikel 369 des Strafgesetzbuches angeklagt. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat Alexander auf dem YouTube-Kanal von „People‘s Reporter“ ein Foto des Bereitschaftspolizisten Vitali Awtuschenko mit beleidigenden Kommentaren veröffentlicht. Dieser hatte Sergej Tichanowski am 6. Mai 2020 in Mogilew festgenommen. Am 14. April 2021 wurde Alexander Kabanow zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

Sergei Petruchin, der Autor der YouTube-Kanäle „People’s Reporter“ und „Youtube-MP“, wurde am Nachmittag des 16. Juni 2020 in einem Dorf im Bezirk Puchowitschi festgenommen. Er wurde gemäß Artikel 342 des Strafgesetzbuches (Organisation und Vorbereitung von Aktionen, die grob gegen die öffentliche Ordnung verstoßen, oder aktive Teilnahme an ihnen) im Zusammenhang mit den Ereignissen in Grodno am 29. Mai angeklagt. Am 14. April wurde der Blogger in Mogilew vor Gericht gestellt – er wurde der Organisation von Massenunruhen sowie der Beleidigung eines Regierungsbeamten für schuldig befunden (Artikel 369 des Strafgesetzbuches). Er wurde zu drei Jahren Gefängnis und außerdem zur Zahlung von 750 Rubel an einen Angehörigen der Mogilew-OMON verurteilt, der durch die Veröffentlichung von Sergei Petruchin in sozialen Netzwerken gedemütigt wurde.

Am 25. Juni 2020 wurde Igor Losik, Blogger und Gründer des Kanals „Das Hirn von Belarus‘“ festgenommen. Er wurde gemäß Artikel 342 des Strafgesetzbuches angeklagt (Organisation und Vorbereitung von Aktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, oder aktive Beteiligung daran). Seitdem sitzt er im Gefängnis. Im Dezember wurde er wegen Vorbereitung auf ein Verbrechen nach Artikel 293 Teil 2 (Teilnahme an Massenunruhen) angeklagt. Am selben Tag trat er in einen Hungerstreik, den er über 40 Tage hielt. Hinter Gittern ist Igor Misshandlungen ausgesetzt, sein Anwalt konnte ihn nicht besuchen, Briefe wurden nicht ausgehändigt –  er wurde in einem Informationsvakuum gehalten. Während der Überführung saß Igor in Handschellen im Auto, seine Arme waren nach oben verdreht und er musste Taschen in den Händen halten, wodurch er Verletzungen davontrug. Am 27. Mai 2021 konnte Igors Frau Daria ihren Mann zum ersten Mal seit mehr als 300 Tagen Haft wiedersehen.

Am 21. Juli 2020 wurde der Blogger Sergei Korschun, Autor des Telegramm-Kanals „Die Armee mit dem Volk“ verhaftet. Er wurde im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 342 des Strafgesetzbuches festgenommen – die Anklage basierte auf den Ereignissen vom 29. Mai 2020 in Grodno. Im Februar 2021 wurde bekannt, dass Korschun nach Artikel 293 des Strafgesetzbuches angeklagt wurde.  Am 07. Mai 2021 wurde Sergei Korschun vom Minsker Regionalgericht verurteilt –  zu viereinhalb Jahren Gefängnis in einer Hochsicherheitskolonie.

Der Blogger Pawel Spirin wurde am 4. September in Minsk festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, für das Schüren sozialen Hasses gegen einen Mitarbeiter des Innenministeriums verantwortlich zu sein (Artikel 130 des Strafgesetzbuches). Grundlage für Spirins Fälle waren seine beiden Videos, die er auf seinem Youtube-Kanal veröffentlichte: der Film „Grenze“, der in die Liste extremistischer Materialien aufgenommen wurde, sowie ein Video mit dem Titel „Ein schreckliches Geheimnis des Generalstaatsanwalts von Belarus: Freibrief für den Sadismus“. Am 5. Februar wurde Pawel Spirin zu 4,5 Jahren Gefängnis verurteilt und am 8. Februar als politischer Gefangener anerkannt.

Am 29. September 2020 wurde Blogger Eduard Palchys, der Autor des Telegram-Kanals PALCHYS, festgenommen. Im Sommer wurde er nach Artikel 23,34 des Verwaltungsgesetzbuches zweimal zu 15 Tagen Haft verurteilt. Am 6. November wurde Eduard Palchys gemäß Artikel 293 Teil 1 des Strafgesetzbuches (Organisation von Massenunruhen) angeklagt. Seine Tochter wurde geboren, während er sich in Haft befand. Eduard weigerte sich, auszusagen.

Am 11. November 2020 wurde Nikolai Dedok, der Autor Telegrammkanals MIKOLA, festgenommen. Er wurde in einer Mietwohnung im Stadtteil Osipowitschi gefunden, wo er sich lange Zeit vor den Sicherheitskräften versteckte. Während der Festnahme wurde Nikolai heftig verprügelt, ihm wurde Pfeffergas in die Augen gesprüht, dann wurde er gewaltsam gezwungen, in einem Video des Innenministeriums aufzutreten. Nach der Festnahme landete Nikolai in Minsk in der GUBOPiK. Dort musste er vier Stunden lang mit dem Gesicht auf dem Boden liegen. Dabei wurde er die ganze Zeit mit einem Schlagstock geschlagen, seine Fersen mit einem Elektroschocker traktiert und ihm wurde gedroht, vergewaltigt zu werden. Man forderte von Dedok, die Passwörter seines Telegramm-Kanals und die Namen der Administratoren zu verraten. Nikolai wurde gemäß Artikel 342 des Strafgesetzbuches angeklagt. Im März eröffnete der Untersuchungsausschuss neue Strafverfahren gegen den politischen Gefangenen wegen der Aufforderung zur Machtergreifung (Artikel 361 Teil 3 des Strafgesetzbuches) und illegaler Handlungen in Bezug auf brennbare Stoffe (Teil 1 des Artikels 295-3 des Strafgesetzbuches). Während all dieser Monate landete Nikolai oft in Einzelhaft, Anwälte wurden nicht zu ihm vorgelassen und auch Briefe wurden ihm nicht ausgehändigt.

Am 17. Februar 2021 fand in Mogilew der Prozess gegen den Blogger Dmitrij Timofejew aus Bobruisk statt. Im Mai 2020 fuhr er durch die Stadt, als er von einem Verkehrspolizeiinspektor angehalten und wegen eines angeblich unangemessenen Tonsignals und Aufklebern am Auto mit einer Geldstrafe belegt wurde. Im Juni 2020 soll er auf dem YouTube-Kanal 6tv.by den Leiter der Verkehrspolizeiabteilung des Exekutivkomitees der Stadt Bobruisk, Vitali Poddubskij, beleidigt haben. Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren Freiheitsbeschränkung, schickte ihn in eine offene Justizvollzugsanstalt und wies ihn an, dem Leiter der Verkehrspolizei 1.000 Rubel zu zahlen. Timofeev erklärte, dass die Worte, die Vitali Poddubskij beleidigt haben sollen, in erster Linie gegen das gesamte System gerichtet sind, in dem eine ungerechte Bestrafung eines Unschuldigen möglich ist.

Ruslan Linnik dreht seit 2020 Videos zu gesellschaftlich bedeutsamen und politischen Themen. Im Februar 2021 hatte sein Kanal 90.000 Abonnenten. Am 23. Februar dieses Jahres wurde der Blogger festgenommen. Er wurde gemäß Artikel 369 des Strafgesetzbuches (Beleidigung eines Regierungsbeamten) angeklagt. Ruslan Linnik wurde am 2. März 2021 als politischer Gefangener anerkannt.

Am 08. April 2021 wurde der Blogger und Schriftsteller Wladislaw Sawin verhaftet. Er wurde nach den Artikeln 209 (Betrug) und 342 des Strafgesetzbuches angeklagt. Übrigens wurde der Fall nach Artikel 209 bereits 2016 eröffnet, als Vladislav bei ONT arbeitete, und 2020 abrupt wieder aufgenommen. Wladislaw hat zwei Bücher geschrieben: die Geschichte „Ambidekstr“ und eine Gedichtsammlung „Poesie Hindurch“. Darüber hinaus beschäftigt sich Wladislaw mit Kunst und Sport: 2016 durchschwamm er die Straße von Gibraltar. Jetzt sitzt Wladislav in Minsk im Untersuchungsgefängnis -1.

Am 19. Mai 2021 wurde die Minsker Bloggerin Olga Tokartschuk in Gewahrsam genommen. Zuvor war sie mehrmals wegen Ordnungswidrigkeiten inhaftiert worden. Zum Zeitpunkt ihrer Festnahme galt Olga bereits als Verdächtige nach zwei Artikeln des Strafgesetzbuches (Beleidigung eines Richters und Verleumdung eines Mitarbeiters der Wahlkommission – Artikel 391 und 188 des Strafgesetzbuches). Nach der letzten Festnahme wurde Olga vorgeworfen, Aktionen organisiert und vorbereitet zu haben, die die öffentliche Ordnung grob verletzen (Artikel 342 des Strafgesetzbuches). Olga befindet sich nun seit zwei Monaten in Haft.

Am 23. Mai 2021 wurde der Blogger und Journalist Roman Protasewitsch in Minsk aus dem Flugzeug Athen-Vilnius heraus verhaftet. Er wurde nach Artikel 293 Teil 1 (Organisation von Massenunruhen), 342 (Organisation und Vorbereitung von Aktionen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen oder aktive Beteiligung daran), 130 (Anstiftung zu Hass) des belarusischen Strafgesetzbuches angeklagt. Sein Anwalt durfte ihn kaum sehen. Auch seine Freundin Sofia Sapega landete im Gefängnis. Am 3. Juni 2021 wurde die Befragung Romans auf dem staatlichen Sender ONT ausgestrahlt.

Die Einschränkung der Meinungsfreiheit ist ein weiterer Verstoß gegen die Verfassung unseres Landes. Die inhaftierten Blogger leiden unter Folter, Erniedrigung, Informationsmangel, ganz zu schweigen davon, dass sie monatelang auf eine Anklage warten müssen, was an sich schon unerträglich ist. Das internationale Zentrum zivilgesellschaftlicher Initiativen „Unser Haus“ fordert die sofortige Freilassung der inhaftierten Blogger und ein Ende der massiven Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Belarus.

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