Vor fast zwei Wochen begannen Belarusen in Litauen ein Zeltlager in der Nähe des Grenzübergang Myadininkai aufzubauen. Seitdem besuchten mehr als hundert Menschen die provisorische Kleinstadt in der Nähe der Grenze. Proteste, einschließlich Straßensperrungen, Workshops, Ausstellungen oder Konzerte finden vor Ort statt – ein ungewöhnliches Kulturereignis für die belarusische Diaspora.

Pavel Latushko schlug vor, Kundgebungen in der Nähe der Grenze zu Belarus abzuhalten, da der Oppositionsführer die EU auffordern wollte, weitere Sanktionen gegen Belarus zu verhängen. Außerdem solle die belarussische Regierung die Grenzen öffnen und alle politischen Gefangenen freilassen. Das Zeltlager in Litauen begann am 5. Juni 2021, als ein Team besorgter Belarusen und Litauer am Kontrollpunkt Myadininkai ankam und Flaggen, Plakate, Porträts von während der Proteste getöteten Belarusen und ein Banner mit ihren Forderungen anbrachten. Zur gleichen Zeit kam es auch zu den ersten Demonstrationen.

Bald begannen auch weiteren Belarusen und öffentliche Organisationen, dem Lager zu helfen. Unter ihnen das „Unser Haus“, die Partei „Narodnaya Hramada“, die öffentliche Vereinigung „Dapamoga“, die Stiftung „Country for Life, u.v.m. Jeden Tag werden Wasser, Lebensmittel, Insektenschutzmittel, Hygieneprodukte an die Grenze gebracht oder Müllsäcke wieder mitgenommen. Litauische Grenzbeamte helfen mit der Wasserbeschaffung und kümmern sich auch um weitere Probleme.

Am 6. Juni 2021 gingen Demonstranten für einige Minuten aus Protest vor dem Zeltlager auf die Straße. Die Belarusen zogen die Aufmerksamkeit von Truckern und Fahrern auf sich, sowohl von den aus, als auch denen nach Belarus, mit ihren Plakaten  „STOP“, „Sie wissen, was zu tun ist“ oder „Lukaschenko ist ein Terrorist“.

Ein weiteres Ereignis war die Ankunft der Schauspieler vom Grodno-Theater im Lager. Sie kamen aus Belarus im Rahmen eines Programms von „Unser Haus“ und der Hilfe des öffentlichen Vereins „Dapamoga“. Am 8.Juni 2021 kamen die Schauspieler zum ersten Mal zum Camp, und knapp eine Woche später, am 14. Juni trat der Musiker Sergey Kosmos, der das Lied „Razbury Turmy Mury“ geschrieben hatte, auf der Bühne vor Ort auf.

Man schafft es nach einigen Bemühungen auch eine Licht und Tonanlage im Lager anzuschließen. Mit der Hilfe von „Unser Haus“, der Partei „Narodnaya Hramada“, der öffentlichen Vereinigung „Dapamoga“, der Stiftung „Country for Life“, war es möglich, die Erlaubnis der litauischen Behörden zu erhalten, eine Straßensperre abzuhalten. Diese fand am 12. Juni 2021 statt. Dutzende Gäste des Zeltlagers gingen mit einer großen 10-Meter-Flagge auf die Straße, um die Aufmerksamkeit der Trucker auf sich zu ziehen. Die Fahrer hupten und riefen: „Es lebe Belarus!“, PKWs und Motorradfahrer fuhren unter der Flagge hindurch, dabei hatte der überwiegende Teil ein Lächeln im Gesicht oder zeigten ihre Unterstützung auf andere Weise. Einige verbrachten ihre Wartezeit am Grenzübergang auch damit, sich den Demonstranten zu nähern und ins Gespräch zu kommen. Die Zeltstadt brachte dabei Fahrer aus verschiedenen Ländern zusammen.

Für die jüngsten Gäste des Lagers gab es einen Malworkshop. Die Kinder schnappten sich voller Freude Papier und Stifte, um Igel zur Unterstützung des politischen Gefangenen Stepan Latypov zu zeichnen. Bei seiner Arbeit fing er oft Igel und erzählte den Leuten davon: „Wenn ich traurig, traurig bin, möchte ich heulen, an der Wand kratzen, ich erinnere mich, was für eine hohe Ehre, welches Glück ich hatte – „dein Igel“ zu sein.“ Und kurz vor dem 1. Juni und der tragischen Gerichtsentscheidung schickte Stepan Briefe an alle Nachbarn, die Kinder haben, und steckte selbstgemachte Igel in Umschläge.

Am 13. Juni eröffnete das Lager die Ausstellungv „An der Grenze“. Die Menschen konnten die Werke von Bewohnern der Zeltstadt sehen. Dabei wurden keine Pinsel genutzt – die Gemälde wurden mit Fingern und Handflächen geschaffen. Helle abstrakte Kunst schmückte das Lager. Die Eröffnung fand mit den Musikern Sergey Kosmos, Vyacheslav Krasulin und dem Dichter und Videoblogger Ales Krutkin statt. Die Belarusen in Litauen planen eine Wohltätigkeitsauktion, um die Gemälde zu verkaufen. Die  Mittel daraus werden zur Unterstützung der unterdrückten Journalisten verwendet.

Das Zeltlager gibt es nach wie vor, trotz zwischenzeitlich harter Regenfälle, kaltem und heißem Wetter und der Tatsache, dass die polnische und ukrainische Seite die Proteste an der Grenze gestoppt haben. Bald ist eine weitere Aktion mit einer Straßensperrung geplant. „Es ist klar, dass absolut alle LKW-Fahrer sich der Situation bewusst sind und die meisten von ihnen dazu bereit sind, etwas zu ändern. Im Radio, auf ihren Kanälen, gibt es genauso „Kämpfe“ zu politischen Themen und darüber, wer Recht hat, wer schuldig ist und was zu tun ist“, so die Campbewohner.

ICCI „Unser Haus“ unterstützt die Belarusen in Litauen, die weiterhin im Zeltlager an der Grenze protestieren. Die Geflüchteten, die die Zeltstadt unterstützen, haben die Folter in Belarus überlebt und sind bestrebt, in ein friedliches Land zurückzukehren, kein Land voller Angst und Schrecken. Wir danken allen, die das Zeltlager besuchen, Essen und Dinge mitbringen, Veranstaltungen organisieren. Und wir hoffen, dass unsere Aktionen uns helfen werden, die Grenze zu Belarus wieder schneller guten Gewissens zu überqueren.

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