Wir haben bereits öfter berichtet, wie Drogendealer Kinder und Jugendliche für sich gewinnen, indem sie ihnen vergleichsweise viel Geld für einen scheinbar harmlosen Job anbieten. Das ist auch der einfachste Weg um sich für Waisenkinder interessant zu machen, die dann oft auch niemanden haben, der sie davor beschützt. Für sie ist es doppelt schwer: Sie haben nicht nur keine Eltern, sondern auch keine finanzielle Unterstützung. Ihre einzige Hoffnung ist es auf irgendwelchen Wegen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Artem war 23 Jahre alt, als er verhaftet wurde. Er wurde zu 12 Jahren Gefängnis nach Absatz 4 des Artikels 328 (organisierter Drogenhandel) verurteilt. Er wurde in die Strafkolonie Babruisk-2 gebracht. Er war nicht einmal in der Lage die Gerichtskosten zu bezahlen.
Leonid war zum Zeitpunkt der Verhaftung 17 Jahre alt. Er besuchte gerade die Berufsschule. Während der Festnahme wurde mit Handschellen hinter dem Rücken geschlagen. Auch während seines ersten Verhörs, bei dem er keinen Anwalt hatte, wurde Leonid körperlich verletzt. Wegen seiner Inhaftierung konnte Leonid seine Ausbildung nicht beenden – der Staat verletzte hier sein Recht auf Bildung. Im Jahr 2020 wurde seine Strafe um 1 Jahr reduziert – aber er muss noch immer für 9 Jahre in Haft sein.
Nikitas Mutter starb im Jahr 2005, als er gerade einmal 7 Jahre alt war. Sein Vater verstarb nur vier Jahre später. Er hatte keine nahen Verwandten mehr. Als er 18 Jahre alt war, wurde er inhaftiert. 2017 kam es zu seinem Prozess – davor verbrachte Nikita fast drei Monate in Untersuchungshaft. Er wurde ebenfalls nach Absatz 4 des Artikels 328 zu 11 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Jahr 2020 wurde eine Revision beim Obersten Gerichtshof eingereicht. Daraufhin wurde Nikitas Strafe umgewandelt – jetzt ist er zu 9 Jahren Gefängnis verurteilt.
Dmitry ist de facto ein Waisenkind. Seiner Mutter wurden die elterlichen Rechte entzogen, als der Junge war 12 Jahre alt. Sein Vater verließ die Familie, als Dima sechs Jahre alt war und starb 2013 (er war damals 15). Im Alter von 19 Jahren wurde Dmitry verhaftet. Er wurde nach Artikel 328, Teil 1 (Besitz von Drogen) und Artikel 328, Teil 3 (Herstellung, Verarbeitung, Erwerb, Lagerung, Transport oder Weiterleitung oder illegaler Verkauf von Drogen durch eine Gruppe von Personen) verurteilt. Acht Jahre Freiheitsentzug sollten darauf folgen. Seine Strafe wurde im Nachhinein etwas abgeschwächt. Dmitry wird im Jahr 2021 freigelassen.
Zwei weitere Waisenkinder: der 19-jährige Oleg und Vladimir – müssen ihre Zeit in der Strafkolonie Bobruisk № 2 verbringen. Oleg wird zu einer Freiheitsstrafe nach Absatz 4 des Artikels 328 verurteilt, Vladimir verbüßt eine Strafe nach Absatz 3 des Artikels 328, insgesamt 9 Jahre Gefängnis. Seit 2019 gibt es zwei Extraeinheiten für alle nach Artikel 328 verurteilten Jugendlichen. Die Jungs bekommen vier Minuten Zeit zum Essen, jeder von ihnen bekommt nur einen Satz Kleidung. Und neben dem Lernen trennen die Jugendlichen Gummis mit ihren Händen – dafür bekamen sie 2019 zwischen 2 und 5 Rubel pro Monat.
Der Status eines Waisenkindes bei der Verurteilung ist kein mildernder Umstand. Es stellt sich heraus, dass Waisenkinder im Gefängnis Menschen ohne Rechte sind, sogar noch machtloser als normale Gefangene. Sie erhalten keine Pakete – laut Gesetz können nur Angehörige diese verschicken. Keiner besucht sie. Ihre gesundheitlichen Probleme werden nicht beachtet, es gibt niemanden, der für sie kämpft. Außerdem erhält ein Waisenkind im Gefängnis keine Zuwendung mehr vom Staat – als ob er, weil er ein Gefangener ist, aufhört, ein Waisenkind zu sein. Er kann keine Gerichtskosten und Gebühren bezahlen – dafür hat er kein Geld und dieses Geld wird von seinem „Einkommen“ im Gefängnis abgezogen. Es ist nicht schwer zu erraten, dass diese Person ohne Geld aus dem Gefängnis kommt – der Weg führt entweder zum “Roten Kreuz” und Organisationen, die Ex-Sträflingen helfen, oder zurück ins Gefängnis.
Wir haben bereits berichtet, was Waisenkinder, die nach Artikel 328 verurteilt wurden, erwartet. Wir möchten klären, warum sich diese spezielle Kategorie von jungen Leuten für den Vertrieb von Drogen entscheidet und dann mit Jahren im Gefängnis dafür bezahlen. Laut den Behörden hin stellt diese Waisenkindern Sozialwohnungen zur Verfügung und bezahlt die Hilfe: Es scheint, dass sie in den ersten Monaten nach der Volljährigkeit nichts brauchen, und dann gibt es Arbeit für sie.
Aber in Wirklichkeit erhält ein Waisenkind in einem Waisenhaus ab dem siebten Lebensjahr 12,10 Rubel pro Monat vom Staat. Die Barentschädigung für den Kauf von Kleidung, Schuhen, Einrichtungsgegenständen und Hygieneartikeln nach Verlassen des Waisenhauses oder Internats beträgt 276,41 RUB pro Jahr für Jungen und 286,15 RUB pro Jahr für Mädchen. Während des Studiums an einer Universität, Fachhochschule oder einer Berufsschule wird einem Waisenkind ein Wohnheim zur Verfügung gestellt, für das er/sie nicht bezahlen muss. Außerdem wird ein Stipendium gewährt: RUB 75,58 für Colleges im ersten Semester und RUB 87,21 für Universitäten. Mit dem Fortschritt im Studium erhöht sich die Zahlung dann auf Br120,94 in Colleges und Br139,54 in Universität. Wenn ein Waisenkind sein Stipendium verliert, weil er seine Prüfungen nicht besteht, erhält er ein Sozialstipendium – Br58,14 für Studenten der Berufsschulen und Br69,77 für Studenten der höheren Bildung. Erst nach der Erlangung des Berufes und dem Vorliegen einer Arbeitsbescheinigung oder der Registrierung beim Arbeitsamt hat der Waise Anspruch auf eine Abfindung von über 1000 Rubel (dieser Betrag wird jährlich an die Preisentwicklung angepasst). Wenn er weiter studiert, bekommt er eine Zulage, wenn er die nächste Stufe der Ausbildung abschließt.
Was die Wohnung betrifft, so kann ein Waisenkind nach dem Verlassen des Waisenhauses in die Wohnung oder das Haus zurückkehren, in dem seine Eltern gelebt haben (wenn sie verstorben sind). Wenn die Wohnung baufällig geworden ist oder die dort lebenden Personen ein sittenwidriges Leben geführt haben, können Sozialwohnungen zur Verfügung gestellt werden. Laut Gesetz wird diese Unterkunft für 6 Monate nach Erreichen der Volljährigkeit der Waisen oder, wenn sie es wünschen, innerhalb von 6 Monaten nach Verlassen der Schule oder Absolvierung des Pflichtwehrdienstes zur Verfügung gestellt. Meistens ist es ein Zimmer in einem Wohnheim – schließlich werden Häuser nicht jeden Tag vermietet.
Es stellen sich berechtigte Fragen: Wo kann ein Waisenkind wohnen, bis ihm eine Sozialwohnung zugewiesen wird? Wie soll ein Waisenkind mit einem Sozialstipendium oder gar einem Universitätsstipendium über die Runden kommen, wenn man nach dem Verlassen des Waisenhauses Kleidung, Schuhe, Hygieneartikel, Schreibwaren, Ausrüstung kaufen muss? Außerdem wird das erste Stipendium erst am Ende des ersten Studienmonats ausgezahlt. Es stellt sich also heraus, dass ein Waisenkind, sobald es das Waisenhaus verlässt, unter anderem einen Job suchen muss, und wenn es einen guten Job findet (was auch ein sehr schwieriges Thema ist), muss es Arbeit und Studium kombinieren und riskiert, entweder sein Einkommen oder seinen Studentenstatus zu verlieren. Kurzum: Für Kinder, die ohne Eltern am Rande des Überlebens stehen, scheint das schnelle Geld für den Vertrieb von „Räuchermischungen“ eine echte Erlösung zu sein – welche sie dann mit dem Entzug ihrer Freiheit bezahlen müssen.