Im Jahr 2006 hat Belarus den berüchtigten Paragraphen №18 „Über zusätzliche Maßnahmen zum staatlichen Schutz von Kindern in dysfunktionalen Familien“ verabschiedet. Laut diesem Dekret müssen die Behörden den Schutz der Rechte von Kindern aus Familien in einer schwierigen Situation sicherstellen. Tatsächlich aber wurden den Behörden die Hände entfesselt: Kinder begannen, wegen der Schulden ihrer Eltern bei Stromrechnungen, wegen ihrer bürgerlichen Position, der Teilnahme an Kundgebungen und der Verbüßung von Haftstrafen weggenommen zu werden. Das Internationale Zentrum für Bürgerinitiativen „Unser Haus“ startete daher eine spezielle Kampagne, die dem Schutz junger Belarussen gewidmet ist.
Im Jahr 2016 unterstützte Olga Karach persönlich die Aktivistin aus Molodetschno Olesya Sadouskaya, deren 8-jährige Tochter ihr wegen ihrer aktiven demokratischen Positionierung weggenommen wurde. Alles begann, als am 1. Januar 2012 Polizeibeamte sich weigerten ein Verfahren gegen Olesya wegen des Diebstahls ihres Mobiltelefons einzuleiten und anfingen sie zu beschimpfen. Aus weit hergeholten Gründen wurde ihr dann ihr Kind weggenommen und später wurde sie wegen Widerstands gegen Polizeibeamte zu 2,5 Jahren eingeschränkter Freiheit verurteilt. Aktivisten von “Unser Haus” entwarfen eine Petition für die Entlassung des Beamten des Bezirksexekutivkomitees, der die Herrausnahme der 8-jährigen Katya aus ihrer Familie veranlasst hatte und nahmen auch an Olesyas Prozess teil.
Im selben Jahr trat „Unser Haus” zur Verteidigung von Natalya Kostiuchenko aus dem Bezirk Uzda an. Die Dame vermietete ein Zimmer an einen jungen Mann, der jedoch nicht mehr zahlte. Eines Tages kam er betrunken nach Hause und meldete am nächsten Morgen, dass 50 Dollar in seiner Wohnung fehlten. Die Polizei zwang Natalia ein Geständnis zu unterschreiben, dass sie das Geld von ihrem Nachbarn gestohlen hatte. Sie weigerte sich, woraufhin ihr gedroht wurde ihren Sohn Artur aus der Familie entfernen zu lassen. Natalya lieferte Beweise für ihre Unschuld. Die Polizei ließ sie gehen, behielt sie aber im Auge. Die Strafverfolgungsbehörden begannen von nun an die Wohnung von ihr regelmäßig zu durchsuchen.
Im Jahr 2017 war es dank der Bemühungen der Aktivisten von “Unser Haus” möglich, die achtjährige Elvira Mironova zu ihrer Mutter zurückzubringen. Vier Monate lang war sie in einem Waisenhaus, wo sie untergebracht worden war, weil ihre Eltern Missstände anprangerten. Als das Mädchen zur Schule ging, wies ihre Mutter auf eine Reihe von Mängeln hin: Die Toiletten hatten keine Klobrillen oder Toilettenpapier und es gab kein Trinkwasser für die Kinder. Die Familie verlangte, dass die Probleme beseitigt werden – daraufhin interessierten die Behörden sich für die Familie und es wurde entschieden, dass das Kind nicht weitern bei ihren Eltern leben kann. Internationale Organisationen intervenierten und nach dem Aufruhr konnte das Mädchen nach Hause zurückkehren.
Auch in 2017 unterstützten Aktivisten Valentina Buslaeva, eine Mutter von fünf Kindern aus dem Bezirk Kopyl, deren Familie als „Familie mit besonderem sozialem und pädagogischem Bedarf“ gekennzeichnet wurde. Der Grund dafür war der Mangel an Reparaturen im Haus und der niedrige Notendurchschnitt (etwa 6) der Schulkinder. Die Frau arbeitete auf dem örtlichen Bauernhof, das Haus wurde ihr vom örtlichen Bauernhof zur Verfügung gestellt. Jedoch eine der Schuldenpunkte – für Wasser – wurde jedoch an Valentina angehängt. Der Mutter wurden dafür jedoch keine Kopien von Dokumenten zur Verfügung gestellt.
Im Jahr 2018 besuchten die Menschenrechtsaktivisten von „Unser Haus“ den Justizminister Oleg Slizhevsky. Thema des Besuchs war u.a. die Meldungen einigen Familien in einer sozial gefährlichen Situation (kurz „SPD“). Auf dem Treffen wurde der umstrittene Punkt der Verordnung des Ministerrates besprochen, wonach den Bürgern Kopien von Dokumenten ausgestellt werden, die ihre Rechte und Interessen betreffen, mit Ausnahme der Dokumente, die sich auf die Korrespondenz der staatlichen Organe beziehen. Die Aktivisten betonten, dass die Familien, die als SPD gekennzeichnet werden, keine Dokumente ausgestellt bekommen, und oft nicht einmal wissen, was sie beheben müssen. Sie präzisierten: Es gibt Situationen, in denen die Akten der Inspektion der Räumlichkeiten erstellt werden ohne die Familien zu besuchen. Am Ende des Treffens erhielten die Menschenrechtsverteidiger eine schriftliche Antwort des Justizministers – die Probleme wurden als erheblich eingestanden und die Mängel in der Gesetzgebung sollten beseitigt werden. (5)
Im Jahr 2020 griff „Unser Haus“ das Problem des minderjährigen Gleb Gunko auf, der in ein Waisenhaus gebracht worden war, weil sein Stiefvater die Wohnung von ihm und seiner Mutter beschlagnahmt hatte. Gleb und sein Bruder waren sechs Monate lang im Waisenhaus. Der Stiefvater der Jungen nahm die Hilfe des Staates in Anspruch, in der Hoffnung, die Wohnung zu bekommen, in der Gleb, sein Bruder und ihre Mutter lebten. Die Geschichte mit der Wohnung entwickelt sich weiter. In der ersten Anhörung wurden die Standpunkte der Parteien gehört. Gleb wurde von Aktivisten und Menschenrechtsverteidigern von „Unser Haus“ unterstützt.
Die Verhöhnung von Kindern und ihren Eltern geht auch jetzt noch weiter. Vitalia Naumik, Ehefrau von Uladzimir Naumik, die im „Fall Tichanouski“ inhaftiert ist, wurde durch den Erlass #18 eingeschüchtert. Sie bekamen ein Besuch vom Kindergarten, den ihre 5-jährige Tochter besucht, zu ihr nach Hause. Sie sagten, dass ein Bericht eingegangen sei und die Kommission die Lebensbedingungen des Kindes überprüfen müsse. Der anonyme Brief besagte, dass die Familie angeblich Zigarettenstummel rumliegen hätte und zu Hause es generell unordentlich sei.
Am 17. September wurde die Aktivistin von „European Belarus“ Alena Lazarchyk festgenommen. Ihr Sohn, der Erstklässler Artem, wurde noch am selben Tag aufgrund des Erlasses Nr. 18 in ein Heim gebracht. Am nächsten Tag versammelten sich Menschen vor der Unterkunft. Die Vormundschaftsbehörde sagte, dass Elena die Dokumente abholen müsse um Artem mit nach Hause zu nehmen, aber unter dem Druck der öffentlichen Meinung wurde der Junge zu seiner Mutter zurückgebracht.
Am 10. März 2021 berichtete „Unser Haus“ über die Familie Owtschinnikow, die seit Oktober in Russland lebt, aber es wurde die ganze Zeit versucht dem Vater Vasiliy seinen 10-jährigen Sohn wegzunehmen. Der Grund dafür ist, dass der Vater ihn daran “hindert” eine Ausbildung zu erhalten. Tatsächlich lernt der Junge in einer Schule in Moskau aus der Ferne. Und der wahrscheinliche Grund ist, dass die Kommission auf diese Weise den Aufenthaltsort von Vasiliy ermitteln will, weil er Zeuge von Fälschungen bei den Wahlen von 2020 war und vorher Fotos von seinem Sohn mit Sergei Tichanovskij gemacht hat.
Mit dem Start der Kampagne „Kein Kind zurücklassen“ forderte “Unser Haus”, dass die Behörden aufhören Kinder ohne Gerichtsverfahren aus Familien zu vertreiben, Beamte für ungerechtfertigte Wegnahmen von Kindern zu bestrafen, die Verfolgung von Müttern minderjähriger Kinder wegen ihrer bürgerlichen Stellung einzustellen, die elterlichen Rechte von Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten und die Verfassung und Gesetze entsprechend zu ändern. Darüber hinaus schlug „Unser Haus“ vor das System der Finanzierung sozialer Dienste für Familien in schwierigen Verhältnissen zu verbessern, den Abschluss einer Vereinbarung über den Unterhalt minderjähriger Kinder als zwingende Voraussetzung für die Scheidung der Ehegatten festzuhalten und das gemeinsame Sorgerecht für Kinder nach der Scheidung vorzusehen.
Zum Schutz der Rechte von Waisen und Kindern ohne elterliche Fürsorge wurde eine Reihe von Vorschriften erlassen. Die Gesetzgebung in Bezug auf verwaiste Kinder sollte verbessert werden, und es sollten solche Formen der Familienunterbringung wie Pflegefamilien und Gastfamilien vorhanden sein. Außerdem empfahl „Unser Haus“ die Entwicklung von familiären Formen der Unterbringung von Waisenkindern, also Kindern ohne elterliche Fürsorge, um Waisenhäuser möglichst zu schließen.
Die von den „Unser Haus“-Aktivisten vorgeschlagenen Regeln schließen die Ausbeutung von Kinderarbeit, die Beteiligung von Minderjährigen an operativen und ermittlungstechnischen Aktivitäten sowie die Verletzung von Kinderrechten in vorgerichtlichen Phasen aus.
Anstatt die Empfehlungen umzusetzen und Mängel in der Gesetzgebung zu korrigieren, benutzt die Regierung weiter Kinder als Mittel um aktive Eltern mit bürgerlichen Positionen unter Druck zu setzen, in der Hoffnung, dass sie so die Zahl der Protestierenden im Land reduzieren können. Und so müssen Kinder weiter fürchten von der Geborgenheit des Elternhauses, in den Kerkern von Waisenhäusern mit entsprechender Einstellung zu landen. Über die Auswirkungen auf ihre Psyche darf jeder selber kurz nachdenken.
(2) https://nash-dom.info/41801
(3) https://nash-dom.info/52397
(4) https://nash-dom.info/48608
(5) https://nash-dom.info/53665
(7) https://news.tut.by/society/689229.html